mitteln - in
den ausgehenden neunzigern
Johannes Stahl
"mitteln"
Neue Worte für neue Umstände machen Sinn: das ist so bewährt
wie verfänglich. Das Wort "mitteln" - in dieser Form
kein Bestandteil der deutschen Sprache - bindet als Wortstamm verschiedenartige
Bedeutungen in mathematisch-geometrischen und sozialen Bereichen. "mitteln"
ist ein Sprachbild. Es benutzt eine räumliche Vorstellung, um etwas
anzudeuten, was Kommunikationsvorgang, Sozialisierung und Interpretation
gleicherweise sein kann. "Ermitteln" ist ein Recherchevorgang.
Sachverhalte oder Personen werden aus einer Vielzahl möglicher
Sachverhalte oder Personen lokalisiert oder ausgewählt und als
Antwort auf eine vorher bestehende Frage dargestellt. "Vermitteln"
ist eine weitgehend zwischenmenschlich bestimmte Handlung. Wiederum
auf Sachen, Leistungen oder Personen anwendbar, hat ein Vermittler die
Aufgabe, eine Nachfrage von Menschen zu befriedigen, die sich mit der
Auswahl schwer tun, mangels Information, aufgrund fehlender Angebote
oder schlichtweg aus Entscheidungsschwäche. Vermittler sind Interessenmakler,
Zwischenträger zwischen Bereichen, in denen die Nachfrage und das
Angebot nicht ohne weiteres zusammenfinden. Es ist festzuhalten, daß
sie dadurch auch Einfluß nehmen können, und Macht ausüben.
"Ausmitteln" schließlich ist ein Begriff, der viel stärker
mit räumlichem oder mathematischem Denken zu tun hat. Eine Mitte
wird bestimmt, und der festgelegte Weg für diese Prozedur folgt
Regeln, die gerade im Bereich der Geometrie gegenüber dem der Algebra
erhebliche Variationsmöglichkeiten aufweisen.
Die Maßnahme Karin
Sanders, im Rahmen der "Skulptur. Projekte in Münster 97"
den Schwerpunkt der Stadt Münster festzulegen, führt das an
sich absurde Unternehmen als Ergebnis visuell deutlich vor Augen: eine
rot gestrichene Betonabdeckung landet zwischen Grundstücksgrenze
und Weg irgendwo weit weg vom historischen Zentrum der Stadt.
Das komplexe Wirkungsgefüge
der Mitte in einem konkreten Rahmen: unstrittig ist in jedem Fall, daß
die Mitte und ihre Bestimmung eine Aktion ist, die in vielfacher Hinsicht
auf kulturelle, physikalische und logische Elemente angewiesen ist -
und daß man die Eindeutigkeit des physikalischen "ausmittelns"
für den Bereich bildender Kunst nicht erreichbar kann. Auch das
sprachliche Spiel mit der Mitte ist selten genug frei von ideologischem
Gedankengut. Waren schon in der französischen Nationalversammlung
die mittleren Plätze der bürgerlichen Majorität vorbehalten,
so wachsen dem Begriff spätestens mit Hans Sedlmayrs Schrift "Verlust
der Mitte" (1948) 1 kulturpolitische Schwingen.
"Mitte" steht hier für eine Konvention, deren Elemente
kultureller und sozialer Natur sind. Wer in der Mitte bleibt, hat es
meistens gut, weiß er sich doch abgegrenzt von jenen Radikalen,
denen der "Mittelweg" in Gefahr und höchster Not nichts
sicherer bringt als den Tod ...
Kunst/Vermittler/Publikum
Kunstvermittlung ist in sich selbst ein sehr hoher Anspruch. Gültiges
oder gar Programmatisches zur Kunst und ihren Zielen zu sagen erfordert
nicht nur Einblick in die - rational nicht immer genau zu fassenden
- Vorgänge der bildenden Kunst, sondern auch die Fähigkeit
von Schreibern und Sprechern, mit der eigenen Sprache eine Brücke
zu schlagen zum Betrachter eben dieser Kunst. Gefragt ist nicht nur
der gedanklich geschulte, belesene - und vor allem optisch bewanderte
Kenner, sondern jemand, der sich von der Gesellschaft durch eben diese
Eigenschaften nicht entfernt, sondern sich ihr womöglich noch mehr
angenähert hat. Kein Wunder also, wenn die Diskussion um die Vermittlung
zeitgenössischer Kunst recht kontrovers geführt wird. 2
Der Kunstvermittler steht mitten in einem Konflikt. Hier die Kunst,
von der er weiß, daß sie sich Worten entzieht, zuviel Eigenpoesie
hat, um von Sprache als anderem Medium entscheidend zu profitieren,
dort das Publikum, das Klartext - oder dessen Surrogate - gewöhnt
ist und aus dieser Gewöhnung seine Erwartungen formt. Die Vermittlung
von Kunst birgt Suchtgefahren: wer auf das Zuhören hin erzogen
wird, kommt kaum leicht in eine aktivere, selbst sehende Rolle hinein.
Und in der Tat scheint für zahlreiche Betrachter erklärte
Kunst schöner zu sein als erlebte. Natürlich gab und gibt
es Erklärungsbedarf gegenüber der (jeweils) zeitgenössischen
Kunst. Die Frage ist allerdings, ob die Kunst daran schuld ist oder
die Umstände, unter denen sie gesellschaftlich steht. Das Anders-sein
von Künstlern, aber auch kunstvermittelnder Institutionen wirkt
sich in der Regel förderlich auf ihren gesellschaftlichen Status
aus. Das Wechselverhältnis zwischen ihnen und dem gesellschaftlichen
Umfeld, das immer stärker eine sinnstiftende Dienstleistung erwartet,
bildet den Ausgangspunkt für die Frage, warum die Betrachtenden
gerade gegenüber zeitgenössischen Arbeiten die Möglichkeiten
so selten nutzen, aus eigener Anschauung mehr zu erfahren als das, was
in historisch zurückliegender Kunst mühsam als Wissen zu den
Zeitumständen erschlossen werden muß.
Mittel: Katalog/Ereignisse
Es lohnt daher, einen Blick
auf zwei ausgewählte Mittel heutiger Kunstvermittlung zu richten.
Kunstkataloge nähren sich heute hauptsächlich aus zwei Traditionen:
den Bilderverzeichnissen einerseits, die auf eine lückenlose Inventarisierung
von Sammlungen abzielten (und oft gut ausgestattetes optisches Abbildungsmaterial
enthielten), und andererseits den wissenschaftlichen Fachpublikationen,
die Kunsttheorie schaffen. Mit den theoretischen Großausstellungen
der achtziger Jahre 3 und einer verbreiteten Nachfrage
nach Vermittlung durch das Kunstbuch entwickelte sich der Ausstellungskatalog
immer stärker in Richtung eines optisch reich aufgemachten wissenschaftlichen
Handbuchs. Aber reicht die bloße Nachfrage (nach Theorie oder
Vierfarbdruck) als Grund aus ?4 Mit der Frage nach
dem Medium Kunstkatalog, das eine Schlüsselposition im oben besagten
Zwischenfeld erreicht hat, beschäftigt sich auch die Form dieser
Publikation.
Ein zweites Konfliktfeld
heutiger Vermittlung von Kunst ist ihr Charakter als Ereignis. Eine
Kunst, die still, konsequent und ohne Aussicht auf großen wirtschaftlichen
Erfolg entsteht - wie gerade Installationen - liegt im Grunde abseits
dieser Möglichkeiten - zumal sie keinesfalls als Gemeinschaftserlebnis
konzipiert ist wie Kino, Oper, Theater oder Musikaufführung. Sie
mit werblichen Mitteln zu Ereignissen hochzustilisieren mag am Anfang
gut funktionieren. Aber sehr bald schaffen gerade diese gut gemanagten
Ereignisse eine Bedürfnisstruktur, die als organisatorische Vorgabe
für das Ereignis auf die künstlerische Arbeit durchschlägt:
Wo Erfolg von Kunst gemessen werden soll, spielen die Kategorie der
emotionalen Intensität und der meßbaren Publikumszahlen 5
wesentliche Rollen: "Bilder müssen rot sein. Musik muß
laut sein.", wie Mick Jagger zu sagen beliebte.
Aussichtsreich erscheint
hier - und dieser Weg wird im Projekt mitteln beschritten - die Zusammenarbeit
mit Formen von Kunstäußerung, die in sich schon als Ereignis
konzipiert ist. Zumindest macht das wesentlich mehr Sinn als die kosmetische
Operation an den eher stillen optischen und gedanklichen Situationen
der bildenden Kunst. Trotz allem: natürlich kann auch das Umgehen
mit dieser Kunst selbst zum Ereignis werden - vorausgesetzt, Künstler,
Vermittler und Publikum sind offen genug für eine Form der gegenseitigen
Annäherung, die nicht selbst wieder Opfer festgefahrener Vermittlungssituationen
("Führung", "Atelierbesuch", "Vortrag",
"Home-Story") wird.
Eine Ausstellung im Bonner
Kunstverein
In exemplarischer Weise arbeiten Kunstvereine an jener Keimschicht,
die sich zwischen aktueller Kunstproduktion und dem engagierten Interesse
dafür ergibt. Die Ähnlichkeiten zwischen KünstlerInnen
und diesen gesellschaftlichen Vereinigungen sind auffallend: sach- statt
profitorientiert, mit einem entschiedenen Interesse, Dinge zu analysieren
und dadurch Änderungen denkbar und realisierbar zu machen und nicht
zuletzt mit existenznotwendigen Abgrenzungsideen ausgestattet - so konstituieren
sich KünstlerInnen und eben auch Kunstvereine am Anfang ihrer Wege.
Und ebenso scheinen die anschließenden Entwicklungsprozesse in
der Natur der Sache zu liegen: KünstlerInnen werden scheitern (oder
doch berühmt), Kunstvereine versuchen, sich nicht allzusehr zu
institutionalisieren oder sie hören auf zu existieren - im Vereinsregister
oder in der Optik der an aktueller Kunst Interessierten. Ein angestammtes
und selbst erarbeitetes Programm, das optische verbreitete Wiedererkennungsmerkmal
der KünstlerIn, ein Gebäude für einen Kunstverein: sie
sind ebenso eine Hypothek für die Freiheit, die man sich in Zukunft
erhofft, wie materielle Voraussetzung der Gegenwartssicherung. Eine
weitere Parallele sei noch hinzugefügt. Ob es die KünstlerIn
ist, die zunächst einmal nur für sich produziert und dann
die Öffentlichkeit teilhaben läßt, oder ob der Kunstverein
sein (Reise-, Jahresgaben-)Programm zunächst nur für die Mitglieder
reserviert: beidesmal geht es nicht um jede Form von Öffentlichkeit,
sondern in erster Linie um eine durch den eigenen Gesichtskreis bestimmte.
Trotzdem, irgendwann einmal tritt eine größere Öffentlichkeit
hinzu - und mit ihr entsprechende Zielkonflikte. Hier ankert das Projekt
"mitteln".
Ein konkreter Anknüpfungspunkt
des Projekts ist die Architektur des Kunstvereinsdomizils. Geplant von
Haus-Rucker-Co, die langezeit nicht als Architektengruppe im herkömmlichen
Sinne, sondern als Produzenten bildender Kunst auftraten, birgt der
Umbau der ehemaligen Blumenmarkthalle eine eigene Programmatik. Im Laufe
zahlreicher Ausstellungen hat sich der zentrale Raum der großen
Halle als ein Ort herausgestellt, über welchen hinweg die ausgestellten
oder in den Raum eingestellten Arbeiten eine Zwiesprache entwickeln.
Die Frage nach dem Verbindenden dieses Raumkompartiments und seine Möglichkeit
zur Nutzung als zentralem Veranstaltungsort stand daher ebenso am Anfang
dieses Projekts wie die nach der Rolle der gesamten Architekturkonzeption.
Die vorab getroffene Auswahl
von vier KünstlerInnen und die vom Seminar hinzu gewählten
zehn weiteren Positionen ergeben kein einheitliches Programm und sind
auch nicht unter einem solchen Gesichtspunkt zustande gekommen. Sie
bringen jedoch in ihrer Gesamtheit eine vielschichtige Auseinandersetzung
in Gang, sowohl mit der Architektur als auch mit der Institution, die
sie nutzt. Es geht - quasi als Nagelprobe - auch um die Offenheit des
Vorgefundenen für individuelle Projekte. Daß dadurch letztlich
erst im Laufe der Zeit ein stimmiges Gefüge im Sinne einer Ausstellung
oder eines sonstigen Raumbilds entsteht, ist ein bewußter Gegensatz
zu sonstiger kuratorischer Praxis.
Die Räumlichkeiten des
Bonner Kunstvereins bilden kein gerade schlichtes Raumgefüge. Im
Vorlauf des Projektes haben die verbale Rahmenvorgabe des "mittelns",
die Beteiligung vieler KünstlerInnen und die Architektur insbesondere
der großen Halle im Bonner Kunstverein auf die Beteiligten zunächst
eher abschreckend gewirkt. Erst allmählich stellte sich ein Miteinander
ein; sowohl in räumlicher als auch in inhaltlicher Hinsicht. Selbstverständlich
liegt das zu keinem geringen Teil daran, daß von KünstlerInnen
ein stark individualisiertes Handeln erwartet wird, das zunächst
Rückzugsräume braucht. Auch die Frage nach einem gruppenmotorischen
Prozeß 6 wirkt gewiß nicht gerade stimulierend
für ein Ereignis, das sein Profil eben nicht durch die klare theoretische
Vorgaben einer Themenausstellung erzeugen wollte - geschweige denn als
konsensuales Gesamtwerk. Letztlich wird als gemeinsames Band der Ausstellung
in der Tat das immer noch nicht definierte Wort "mitteln"
wie auch der Bezug zum Ausstellungsraum und der Institution Bonner Kunstverein
sichtbar. Gleichzeitig markiert das Projekt ein Stück praktizierten
gemeinsamen Nachdenkens und Handelns von Künstlern, Studierenden,
Kunstverein, Kunsthistorischem Institut und einer ganzen Reihe weiterer
Kulturinstitutionen und privaten Personen. Zwischen institutioneller
Kritik und Selbstreflexion, zwischen geschichtlicher und theoretischer
Betrachtungsweise und Projektmanagement ist ein Ergebnis entstanden,
von dem Katalog und Ausstellung zwar Elemente zeigen, das aber darüber
hinausgeht - gedanklich, zeitlich und räumlich.
Orte
zu Räumen - Räume zu Orten
Installationen sind eine heute selbstverständliche eigene Gattung
der bildenden Kunst geworden, ohne daß es dafür einen akademischen
Lehrstuhl gäbe wie für Malerei, Skulptur, Architektur, Grafik,
Fotografie, oder CAD-Design. Auch eine zusammenfassende kunstgeschichtliche
Studie zur raumbezogenen Kunst steht aus. Dabei ist die Idee geradezu
verlockend: man denke sich eine der beliebten historischen Hilfslinien
von der Höhlenmagie der Steinzeit über die heiligen Gräber
des Mittelalters, gesamtkünstlerisch konzipierten Renaissance-Kapellen,
über barocke Schloß- und Gartenanlagen bis hin zu Marcel
Duchamp, der in kluger Vorarbeit seine wichtigsten Werke in das Philadelphia
Museum of Art lancierte, um mehr oder weniger mitten im Museum mit seiner
- vorher lange geheim gehaltenen - letzten Arbeit eine Synthese aus
räumlichen, bildnerischen und situativen Elementen zu schaffen.
Diese Hilfslinie könnte sich fortsetzen in den Environments und
Installationen der sechziger Jahre, deren Urahn der Licht-Raum-Modulator
von Lazlo Moholy-Nagy ist. Sie könnte in der - häufig soziale
Situationen thematisierenden - Kunst der siebziger Jahre eine besondere
Wendung nehmen, um schließlich vor der Nähe heutiger Phänomene
zu kapitulieren und ein unüberschaubar gewordenes Maß an
wechselseitigen Einflüssen zu beklagen. So verläuft die Kunstgeschichte
wohl kaum, und auch ihre Schreibung würde keinen schlüssigen
Zusammenhang erzeugen können - was immerhin in bescheidenen Maßen
von ihr erwartet wird und sie auch selbst von sich behauptet.
Im Gegenteil: vielleicht
ist es ganz gut, daß es diesen Versuch noch nicht gibt.7
Schließlich sind im Bereich raumbezogener Kunst so zahlreiche
mediale Querverweise nötig, daß es weit eher sinnvoll ist,
Fallstudien zu erstellen, den Messebau der zehner und zwanziger Jahre
in Beziehung zu bringen mit den Prounenräumen El Lissitzkys 8,
oder das Unbehagen an der schon früher öfters einmal suspekten
Malerei mit dem alle Ausdrucksformen umfassenden MERZbau von Kurt Schwitters
beispielsweise. Die räumlichen Aneignungsstrategien der russischen
Revolutionskunst lassen sich umfassend nur begreifen mit Blick auf die
gesellschaftlichen Aneignungssituationen, aus denen sie stammten und
in die sie einige Jahre hineinwirken durften. Nicht zuletzt spielen
in diese Überlegungen immer Wechselwirkungen mit den physikalischen
oder philosophischen Raumvorstellungen stark hinein, und die punktuelle
Zusammenarbeit zwischen Helmut Heisenberg und dem am Bauhaus ausgebildeten
Hans Haffenrichter, der ihm bei der theoretischen Arbeit als Künstler
in Anschaulichkeitsfragen zuarbeitete 9, dürfte
hier kein Einzelfall sein. Und: Setzt nicht Bruce Naumans Performance
Tony sinking into the floor wortwörtlich in Aktion um, was Rudolf
Arnheims Buch "Die Macht der Mitte" als vektorielle Grundbestimmung
menschlicher Existenz in der Schwerkraft festmacht 10
- und das trotz der doch derart verschiedenen Temperamente?
Wahrscheinlich zwingt ein
so offensichtlich komplexes Feld zu Einschränkungen der Optik.
Ob dabei eine verbale Einkreisung und Trennschärfe wirklich für
jeden Begriff Sinn macht, ist noch keinesfalls erwiesen. Andererseits
bilden sich in schöner Regelmäßigkeit um als zentral
angesehene Begriffe Kraftfelder, und zumindest für diese Sprach-Stellen
lohnt die Probe, ob sie denn mit Visuellem in Zusammenhang stehen, damit
Schritt halten, und es gegebenenfalls sogar bereichern könnten.
Für den Begriff des Raumes jedenfalls lohnt eine solche Einkreisung
kaum. Der - nächstliegende - euklidische Raumbegriff (Länge,
Breite und Höhe) beeinflußt dabei gewiß am stärksten
künstlerisches Arbeiten mit Raum, denn er ist nicht nur der kulturell
am weitesten verbreitete; sondern stellt auch die wesentlichen Grundbedingungen,
an denen Architektur konstruiert wird. Eine präzisere Handhabung
von Raumbegriffen ist gleichwohl ein schon traditionelles Problem, das
sich nicht nur geradezu zyklisch wiederkehrenden physikalischen Neubewertungen
verdankt, sondern auch innerhalb der Philosophie schon Tradition hat.11
"Installation"
"Installation umfaßt alle Anlagen für Be- und Entwässerung,
Gas- und Elektrizitätsversorgung, Heizung, Lüftung, elektrische
Klingelanlagen usw. Zwar bestehen für die einzelnen Gebiete der
Installation technische Vorschriften, wie sie etwa in (I) zusammengefaßt
sind, doch ist die Installationstechnik in ihrer wissenschaftlichen
Behandlung gegenüber anderen Zweigen der Technik noch zurückgeblieben,
ein Mangel, der namentlich seitens der Fachleute der Installationstechnik
stark empfunden wird." 12
Die Verwendung des heutigen Begriffs von Installation entsteht in den
sechziger Jahren. "The diagonal (gemeint ist the diagonal of personal
ecstasy (the diagonal of May 25, 1963, J.S.) in its overt formal simplicity
was only the installation of a dimensional or distended luminous line
of a standard industrial device. Little artistic craft could be possible."13
Offensichtlich zielte Flavins Verwendung des Worts seinerzeit eben nicht
auf die Etablierung eines neuen Gattungsbegriffs, sondern war ein (bewußt?)
wertfrei verwendeter Begriff. Auch Donald Judd benutzt in seinem Eingehen
auf die Tendenz der Zeitgenossen zur Installation nicht den Begriff
- sondern kennzeichnet den Umstand immer wieder als Dreidimensionalität.
14 Die Künstlerfotos von Ausstellungen in der
legendären Galerie "wide white space" in Antwerpen kennen
seit 1967 den Begriff, aber ebenfalls in der oben angeführten technischen
Funktion.15 Die kunsttheoretische und kunsthistorische
Nomenklatura hat das Wort wohl später als Gattungsbegriff eingesetzt.
"An installation is a site-specific art work, created for a gallery
or outdoor location."16 So schön und tapfer
jedoch der Versuch einer definitorischen Eingrenzung des Begriffs sein
mag: eine Internetsuche (bei nur einer möglichen Suchmaschine 17)
nach seiner Verwendung ergibt 1997 eine knappe Million Verwendungen
allein der Wortkombination "installation art". Ob sie wohl
alle dieselbe Definition im Kopf haben?
Zur heutigen Verwendung des
Begriffs trägt wesentlich ein Umstand bei, daß während
der siebziger Jahre immer mehr kontextuelle Elemente an Gewicht gewannen.
Ein Faktor dieser Entwicklung sind nicht nur die politischen Ereignisse
seit 1968, sondern auch der Wechsel in den künstlerischen Ausdrucksmitteln.
Aktionistische Elemente beispielsweise, oder die - durch die Minimalisten
durchaus vorbereitete - Verankerung im Gedanklichen betonten neben der
geometrischen Komponente immer stärker auch den Bezug zum Publikum.
Schließlich wurde auch das soziale Umfeld der künstlerischen
Produzenten stärker zum Thema und damit bewegten sich zahlreiche
Installationen außerhalb der für Kunst vorgesehenen Häuser.
Für die raumbezogene Kunst bedeutete das die genaue Ausdifferenzierung
ihres "Ortes" als ein Zusammentreffen von räumlichen
und kulturellen (sozialen, geschichtlichen, emotionalen) Bestimmtheiten.
Dadurch bringt diese "Verortung" immer auch eine Zuspitzung
auf nur einen möglichen Ort mit sich 18.
Es ist auffallend, wie sich diese Bestimmtheit raumbezogener Kunst in
den achtziger Jahren versinnlicht und dabei diversifiziert. Mit der
Entwicklung der Videoinstallation ließe sich das exemplarisch
zeigen: ursprünglich als bewußt un-auratisches Ausdrucksmittel
eingeführt, bemächtigt sich die zunächst sehr technisch
gesehene Möglichkeit bewegter elektronischer Bilder im Videoband
zusehends der traditionellen (und auratisierten) Vermittlungswege der
Skulptur 19
oder - in Form der Projektion - des Kinos.
Kontextdiskussion/Raumfrage
Spätestens seit Peter Weibels umfangreichem Projekt "Kontext
Kunst"20 hat sich die Kontextdiskussion auch
ihres eigenen historischen Kontextes versichert. In der Tat spielt die
Reflexion des eigenen Tuns eine schon immer gewichtige Rolle innerhalb
des künstlerischen Arbeitens. Dazu gehört nicht nur die Auseinandersetzung
mit der Sinnfrage einzelner Medien.21 Und daß
Institutionen wie der Kunstmarkt suspekt sein und schon immer scheinen
konnten, bedarf ebenso wenig einer umfänglichen Erläuterung.
Im hier in Frage stehenden Zusammenhang ist die Gestalt und Funktion
von Kunsträumen interessant und vor allem inwieweit sie selbst
Gegenstand künstlerischen Arbeitens geworden ist. Zunächst
mögen den Betrieb behindernde oder ihn verweigernde Haltungen auffallen,
von denen Marcel Duchamps Installation von 1200 Kohlesäcken unter
der Decke des Raums für die "Exposition International du Surréalisme
1938" oder die Verschnürung des Ausstellungsraums von "First
Papers of Surrealism" 1942 gewiß Marksteine sind. Yves Kleins
kategoriale Maßnahme, die Galerie Iris Clert 1958 als Ort seiner
Ausstellung Le Vide zu nutzen und außer weiß gestrichenen
und ausgeleuchteten Räumen nichts zu zeigen, setzte sich über
die materiellen Bedingungen des Kunstorts mit der ihm eigenen mystisch-philosophischen
Noblesse hinweg. Als Arman ihm in den selben Räumen mit der Aktion
Le Plein (1960, bestehend aus zwei Containern voller Müll in der
Galerie) antwortete, spätestens aber mit Christos Verhüllung
der Kunsthalle Bern 1968 muß der Bezug zwischen konzeptueller
Reaktion auf Institutionen und konkret auf den Raum bezogenen künstlerischen
Arbeiten deutlich spürbar gewesen sein. Daß es die Ausstattung
von Sammlungsräumen und das Einrichten von Ausstellungen durch
Künstler auch schon lange gegeben hat 22 - und
damit ein eigenes Feld raumbezogenen kontextuellen Arbeitens, sei hier
ausdrücklich erwähnt.
WC (white cube)
Brian O´Dohertys 1976 geschriebener Essay "Towards the white
cube" 23 hat die angenehme Eigenschaft, distanziert
zu sein - und gleichzeitig aus enger Kenntnis heraus verbindlich. Nur
wenige Autoren haben sich seinen gleichermaßen überzeugenden
wie ironischen Überlegungen verweigern können. In Details
stecken jedoch viele Fragen, die heftige Kontroversen in Gang bringen
können.
Eine davon: Zahlreiche Galerie- und Ausstellungsräume, folgen den
darin beschriebenen Ideen auch in der Form möglichst genau: "Die
Wände sind weiß getüncht. Die Decke wird zur Lichtquelle.
Der Fußboden bleibt entweder blank poliertes Holz, so daß
man jeden Schritt hört, oder aber er wird mit Teppichboden belegt
(...)."24 Aber: es gibt kaum Räume, die
ausschließlich dieser Beschreibung folgen und ohne spezifische
Elemente existieren. Die Standardisierung von Ausstellungsräumen
funktioniert nur am Anfang im oben beschriebenen Sinne richtig reibungslos.
Der Vergleich zu anderen Inszenierungsräumen wie der Mailänder
Scala, der New Yorker Met (oder irgend einem peripheren Pendant dazu)
ist erhellend: Eine spezifische Art Aura entsteht recht schnell durch
die Aufführungen, die diese Bühnen gesehen haben, und diese
macht daraus immer mehr als nur einen beliebigen Spiel-Ort. Muß
das nicht auch für Ausstellungsräume gelten? Wenn man sich
von der Vorstellung löst, daß Kunst nur in dem Augenblick
funktioniert, wo sie materiell anwesend ist, bleiben Spuren sehr zahlreicher
Raumvorstellungen in diesen Ausstellungsräumen zurück. Für
das Treppenhaus des Kasseler Fridericianums beispielsweise ist das ein
wesentlicher Umstand, der von Documenta zu Documenta neue Aufgaben stellt
25.
Nun läßt sich über diese geschichtlichen und kultischen
Prägungen schlecht theoretisieren. Gerade in der sich programmatisch
"wide white space Gallery" nennenden Unternehmung zeigt sich
diese bezeichnende Paradoxie "optimaler Bedingungen" 26.
So wichtig auch immer die Standardisierung des "white cube"
für die Gedankenarbeit am und im Kontext Kunst ist, die spärlichen
gestalterischen Elemente der puren weißen Ausstellungswürfel
- und ausgerechnet davon abweichende - werden zum Anknüpfungspunkt
künstlerischen Arbeitens. Möglicherweise liegt das an der
programmatischen Reizlosigkeit dieses Raumtypus. Und vielleicht hat
das ursprüngliche konzeptuelle Programm ebenfalls schon etwas von
seinem Reiz eingebüßt. Letztlich hilft gerade das Ortsspezifische
von Ausstellungsräumen, ihre gesellschaftliche Funktion und ihr
formales Innenleben, jene Diskussion fortzusetzen, deren Fortleben O´Dohertys
Nachwort 1982 so erstaunt festhält - und die auch noch keineswegs
zu Ende ist.
Abbildungstexte:
Marc Mer: scene / obscene. Erster Entwurf für das Ausstellungsprojekt
mitteln, 1996.
Marcel Duchamp: 1200 Kohlesäcke, 1938. Fragwürdige Rekonstruktion
der ursprünglichen Installation durch Salvatore Dali in seinem
Museum in Figueras.
Elektroinstallationen, Bath/GB, 1995
Fußnoten
1 Sedlmayr, Hans: Verlust der Mitte. Salzburg 1948
2 Als Beispiel eine Konfrontation von documenta-Theorien:
"Heute müssen die Dinge selbst wieder wichtiger werden als
das, was wir über sie zu sagen haben." Jan Hoet, in: Eine
Einführung. Documenta IX, Ausst.Kat., Stuttgart 1992, Bd. 1, S.
20. "Mit der Veröffentlichung von Arbeitspapieren, deren erste
Ausgabe Sie gerade in Händen halten, möchte das documenta-Team
diesen Prozeß der Montage aufzeichnen. (...) In jedem Heft werden
vielmehr Fragen gestellt, Gedanken verfolgt, Arbeitsthesen geprüft,
die Zusammengetragen, eine Art Niederschrift des Ausstellungsprozesses
bilden und das "hic et nunc" der documenta bestimmen."
Catherine David, in: Editorial. documenta x documents, Ostfildern 1996,
S. 1f.
3 Gemeint sind Projekte wie: Westkunst, Der Hang zum
Gesamtkunstwerk. Eine Übersicht befindet sich in der abschließenden
Bibliografie.
4 "Muß es zu diesem Projekt einen Katalog
geben?" Frage von Mischa Kuball am 3.5.97 anläßlich
der ersten vorbereitenden Künstlerrunde.
5 Das führt zu eigentümlichen Verzerrungen:
Für massenkulturelle Zielsetzungen setzen die Musicals Standards:
in ihnen konzentriert sich wirtschaftlicher Erfolg und Emotionalität.
Diese Bilderbuchehe im Bereich der Kunst diskreditiert jedoch als Vorgabe
andere Verbindungen.
6 Norbert Kottmann beim ersten Künstlertreffen
am 3.5.1997.
7 Das heißt beileibe nicht, daß nicht schon
reichlich Literatur zu diesem Feld erschienen ist. Besondere Beachtung
verdient - neben Brian O´Dohertys unverwüstlichen Überlegungen
aus den Jahr 1976 "Towards the white cube" der Versuch "Installation
Art" (London 1994, s. Literaturliste), da hier bereits die Komplexität
der Fragestellung Eingang in die Struktur des visuell und an Verweisen
reichen Buches gefunden hat. Im Anhang dieser Publikation wird der Versuch
unternommen, diese - in Auswahl - etwas zu strukturieren.
8 ... und von dort aus über Richard Hamiltons Umgangsweisen
mit dem Messebau bei der Ausstellung "This is Tomorrow" (Whitechapel
Art Gallery London, 1956) zu praktischen Formen heutiger Schnittpunkte
weiterzuhangeln ...
9 siehe Hans Haffenrichter: Ausstellungskatalog Würzburg
(Städtische Galerie) 1991.
10 Arnheim, Rudolf: Die Macht der Mitte, Köln,
1996, S.34. Die Aktion Naumans wird eingehend geschildert in: Das eigene
Zentrum. Ein Interview mit Jan Butterfield. In: Nauman, Bruce: Interviews
1967-1988. Amsterdam 1996, S.88.
11 "Mag auch bei Kant selbst eine sachliche Unklarheit
vielleicht nicht abzuleugnen sein, so bewahrheitet sich hier nur sein
eigenes Wort: "dass es gar nichts ungewöhnliches sei (...)
durch die Vergleichung der Gedanken, welche ein Verfasser über
seinen Gegenstand äußert, ihn sogar besser zu verstehen,
als er sich selbst verstand (...)."Stahl, Johannes E.: Eine Kritik
von Kants Raumerörterung, Hamburg 1917, S. 7.
12 Wasmuths Lexikon der Baukunst, Berlin 1931, S. 15.
(I): Technische Vorschriften für Bauleistungen, aufgestellt vom
Reichs-Verdingungs-Ausschuß, Berlin, 1926.
13 Flavin, Dan: ... in daylight or cool white. In:
Artforum, Dec. 1965, S. 20-24. Wiederabdruck einer Vorlesung aus dem
Dezember 1964. Er lehnt gleichwohl die Charakterisierung seiner Arbeit
als "Skulptur" strikt ab und kennzeichnet sie meist mit "proposal"
oder "arrangement". Zit. nach.: Dan Flavin. three installations
in fluorescent light Drei Installationen in fluoreszierendem Licht.
Ausst.kat. Kunsthalle Köln 1973. Hier verwendet er inzwischen übrigens
selbst das Wort "installation" - und in der deutschen Übersetzung
heißt es "Aufbauten".
14 Judd, Donald: Spezifische Objekte (Orig.: specific
objects; 1965). Zit.n. Glozer, Llaszlo: Westkunst. Zeitgenössische
Kunst nach 1939. Köln 1981., S. 267-278. Ein Parallelfall hierzu
wäre die Verwendung des Begriffs "happening" bei Allan
Kaprow.
15 "Ich denke, Ende 1967, Anfang 1968 sind sich
die Künstler wirklich bewußt, eine Installation in einem
Raum vorzunehmen. So trugen die Fotos auf der Rückseite den Vermerk
"Installation view", was neu war." Anny de Decker, in:
Wide white space. Ausstellungskatalog Bruxelles (Palais des Beaux Arts)
Bonn (Kunstmusuem) 1995, S. 45.
16 Duro, Paul; Greenhalgh, Michael: Essential art history.
London 1994, S. 163. Ein Eingehen auf den Begriff "site" kann
hier mit Hinblick auf ein entsprechendes Kapitel in "Installation
art" (s. Literaturliste) unterbleiben.
17 http://arthema.com; 3.10.97
18 Foucault, Michel: Andere Räume. (Urspr. Vortrag
1967, der wiederholt in unterschiedlichen Zusammenhängen abgedruckt
wurde (Ausst.Kat. Int. Bauaustellung Berlin 1987, Aisthesis (Leipzig)
1990, Translokationen (Wien) 1993, zuletzt in Documenta x. Ausstellungskatalog
Ostfildern 1997. Letztlich kommt es der Etymologie des Wortes sehr nahe,
die es aus dem gleichen Stamm wie "Spitze", "Ende",
"Stelle" (heute z.B. Duisburg-Ruhrort) herleitet. Etymologisches
Lexikon des Deutschen. Hg. v. W. Pfeiffer u.a., Berlin 1989, S. 1210.
19 Decker, Edith/Herzogenrath, Wulf (Hg.): VideoSkulptur
retrospektiv. Ausstellungskat. Kölnischer Kunstverein 1989.
20 Weibel, Peter: Kontext Kunst. Köln 1994 (=Ausstellungskatalog
Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum Graz 1993).
21 Jörg Immendorf: Hört auf zu malen, Kunstharz
auf Leinwand 1965, Sted. VanAbbemuseum, Eindhoven
22 Brian O´Doherty (dem die Darstellung hier
in einigem folgt) reklamiert eine wesentlich vernachlässigte Forschungsmöglichkeit
für die Kunstgeschichte. Ders.: In der Weißen Zelle, Anmerkungen
zum Galerie-Raum. Berlin 1996, (Orig. verschiedene Artforum-Artikel
1976, deutsch Kassel 1982) S. 70ff.
23 O´Doherty, ebd. Insbesondere das Nachwort
von M. Brüderlin, das diese Diskussion auszugsweise spiegelt.
24 ebd., S. 10.
25 Renate Petzinger und Volker Rattemeyer : Pars pro
Toto. In: Kunstforum Bd. 90, 1987, S.334-357.
26 Wide white space. Ausstellungskatalog Bruxelles
(Palais des Beaux Arts) Bonn (Kunstmusuem) 1995. Ähnliche monografische
Studien hätten gewiß verdient: das Kunstforum in München,
in dessen Schaufenstersituation beispielsweise Joseph Beuys` "Zeige
Deine Wunde" eine besonders deutliche Wirkung bekam, oder der Portikus
in Frankfurt/M,
Abbildungen
1 Karin Sander: Schwerpunkt der Stadt Münster. 1997
2 Marc Mer: scene - obscene. Entwurf für das Ausstellungsprojekt
mitteln, 1996.
3 Laszlo Moholy-Nagy: Licht-Raum-Modulator, 1930.
4 Elektroinstallationen, Bath/GB, 1995
5 Marcel Duchamp: 1200 Kohlesäcke, 1938. Fragwürdige Rekonstruktion
der ursprünglichen Installation durch Salvatore Dali in seinem
Museum in Figueras.
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