mitteln - in den ausgehenden neunzigern
Johannes Stahl

"mitteln"
Neue Worte für neue Umstände machen Sinn: das ist so bewährt wie verfänglich. Das Wort "mitteln" - in dieser Form kein Bestandteil der deutschen Sprache - bindet als Wortstamm verschiedenartige Bedeutungen in mathematisch-geometrischen und sozialen Bereichen. "mitteln" ist ein Sprachbild. Es benutzt eine räumliche Vorstellung, um etwas anzudeuten, was Kommunikationsvorgang, Sozialisierung und Interpretation gleicherweise sein kann. "Ermitteln" ist ein Recherchevorgang. Sachverhalte oder Personen werden aus einer Vielzahl möglicher Sachverhalte oder Personen lokalisiert oder ausgewählt und als Antwort auf eine vorher bestehende Frage dargestellt. "Vermitteln" ist eine weitgehend zwischenmenschlich bestimmte Handlung. Wiederum auf Sachen, Leistungen oder Personen anwendbar, hat ein Vermittler die Aufgabe, eine Nachfrage von Menschen zu befriedigen, die sich mit der Auswahl schwer tun, mangels Information, aufgrund fehlender Angebote oder schlichtweg aus Entscheidungsschwäche. Vermittler sind Interessenmakler, Zwischenträger zwischen Bereichen, in denen die Nachfrage und das Angebot nicht ohne weiteres zusammenfinden. Es ist festzuhalten, daß sie dadurch auch Einfluß nehmen können, und Macht ausüben. "Ausmitteln" schließlich ist ein Begriff, der viel stärker mit räumlichem oder mathematischem Denken zu tun hat. Eine Mitte wird bestimmt, und der festgelegte Weg für diese Prozedur folgt Regeln, die gerade im Bereich der Geometrie gegenüber dem der Algebra erhebliche Variationsmöglichkeiten aufweisen.

Die Maßnahme Karin Sanders, im Rahmen der "Skulptur. Projekte in Münster 97" den Schwerpunkt der Stadt Münster festzulegen, führt das an sich absurde Unternehmen als Ergebnis visuell deutlich vor Augen: eine rot gestrichene Betonabdeckung landet zwischen Grundstücksgrenze und Weg irgendwo weit weg vom historischen Zentrum der Stadt.

Das komplexe Wirkungsgefüge der Mitte in einem konkreten Rahmen: unstrittig ist in jedem Fall, daß die Mitte und ihre Bestimmung eine Aktion ist, die in vielfacher Hinsicht auf kulturelle, physikalische und logische Elemente angewiesen ist - und daß man die Eindeutigkeit des physikalischen "ausmittelns" für den Bereich bildender Kunst nicht erreichbar kann. Auch das sprachliche Spiel mit der Mitte ist selten genug frei von ideologischem Gedankengut. Waren schon in der französischen Nationalversammlung die mittleren Plätze der bürgerlichen Majorität vorbehalten, so wachsen dem Begriff spätestens mit Hans Sedlmayrs Schrift "Verlust der Mitte" (1948) 1 kulturpolitische Schwingen. "Mitte" steht hier für eine Konvention, deren Elemente kultureller und sozialer Natur sind. Wer in der Mitte bleibt, hat es meistens gut, weiß er sich doch abgegrenzt von jenen Radikalen, denen der "Mittelweg" in Gefahr und höchster Not nichts sicherer bringt als den Tod ...
Kunst/Vermittler/Publikum
Kunstvermittlung ist in sich selbst ein sehr hoher Anspruch. Gültiges oder gar Programmatisches zur Kunst und ihren Zielen zu sagen erfordert nicht nur Einblick in die - rational nicht immer genau zu fassenden - Vorgänge der bildenden Kunst, sondern auch die Fähigkeit von Schreibern und Sprechern, mit der eigenen Sprache eine Brücke zu schlagen zum Betrachter eben dieser Kunst. Gefragt ist nicht nur der gedanklich geschulte, belesene - und vor allem optisch bewanderte Kenner, sondern jemand, der sich von der Gesellschaft durch eben diese Eigenschaften nicht entfernt, sondern sich ihr womöglich noch mehr angenähert hat. Kein Wunder also, wenn die Diskussion um die Vermittlung zeitgenössischer Kunst recht kontrovers geführt wird. 2
Der Kunstvermittler steht mitten in einem Konflikt. Hier die Kunst, von der er weiß, daß sie sich Worten entzieht, zuviel Eigenpoesie hat, um von Sprache als anderem Medium entscheidend zu profitieren, dort das Publikum, das Klartext - oder dessen Surrogate - gewöhnt ist und aus dieser Gewöhnung seine Erwartungen formt. Die Vermittlung von Kunst birgt Suchtgefahren: wer auf das Zuhören hin erzogen wird, kommt kaum leicht in eine aktivere, selbst sehende Rolle hinein. Und in der Tat scheint für zahlreiche Betrachter erklärte Kunst schöner zu sein als erlebte. Natürlich gab und gibt es Erklärungsbedarf gegenüber der (jeweils) zeitgenössischen Kunst. Die Frage ist allerdings, ob die Kunst daran schuld ist oder die Umstände, unter denen sie gesellschaftlich steht. Das Anders-sein von Künstlern, aber auch kunstvermittelnder Institutionen wirkt sich in der Regel förderlich auf ihren gesellschaftlichen Status aus. Das Wechselverhältnis zwischen ihnen und dem gesellschaftlichen Umfeld, das immer stärker eine sinnstiftende Dienstleistung erwartet, bildet den Ausgangspunkt für die Frage, warum die Betrachtenden gerade gegenüber zeitgenössischen Arbeiten die Möglichkeiten so selten nutzen, aus eigener Anschauung mehr zu erfahren als das, was in historisch zurückliegender Kunst mühsam als Wissen zu den Zeitumständen erschlossen werden muß.
Mittel: Katalog/Ereignisse

Es lohnt daher, einen Blick auf zwei ausgewählte Mittel heutiger Kunstvermittlung zu richten. Kunstkataloge nähren sich heute hauptsächlich aus zwei Traditionen: den Bilderverzeichnissen einerseits, die auf eine lückenlose Inventarisierung von Sammlungen abzielten (und oft gut ausgestattetes optisches Abbildungsmaterial enthielten), und andererseits den wissenschaftlichen Fachpublikationen, die Kunsttheorie schaffen. Mit den theoretischen Großausstellungen der achtziger Jahre 3 und einer verbreiteten Nachfrage nach Vermittlung durch das Kunstbuch entwickelte sich der Ausstellungskatalog immer stärker in Richtung eines optisch reich aufgemachten wissenschaftlichen Handbuchs. Aber reicht die bloße Nachfrage (nach Theorie oder Vierfarbdruck) als Grund aus ?4 Mit der Frage nach dem Medium Kunstkatalog, das eine Schlüsselposition im oben besagten Zwischenfeld erreicht hat, beschäftigt sich auch die Form dieser Publikation.

Ein zweites Konfliktfeld heutiger Vermittlung von Kunst ist ihr Charakter als Ereignis. Eine Kunst, die still, konsequent und ohne Aussicht auf großen wirtschaftlichen Erfolg entsteht - wie gerade Installationen - liegt im Grunde abseits dieser Möglichkeiten - zumal sie keinesfalls als Gemeinschaftserlebnis konzipiert ist wie Kino, Oper, Theater oder Musikaufführung. Sie mit werblichen Mitteln zu Ereignissen hochzustilisieren mag am Anfang gut funktionieren. Aber sehr bald schaffen gerade diese gut gemanagten Ereignisse eine Bedürfnisstruktur, die als organisatorische Vorgabe für das Ereignis auf die künstlerische Arbeit durchschlägt: Wo Erfolg von Kunst gemessen werden soll, spielen die Kategorie der emotionalen Intensität und der meßbaren Publikumszahlen 5 wesentliche Rollen: "Bilder müssen rot sein. Musik muß laut sein.", wie Mick Jagger zu sagen beliebte.

Aussichtsreich erscheint hier - und dieser Weg wird im Projekt mitteln beschritten - die Zusammenarbeit mit Formen von Kunstäußerung, die in sich schon als Ereignis konzipiert ist. Zumindest macht das wesentlich mehr Sinn als die kosmetische Operation an den eher stillen optischen und gedanklichen Situationen der bildenden Kunst. Trotz allem: natürlich kann auch das Umgehen mit dieser Kunst selbst zum Ereignis werden - vorausgesetzt, Künstler, Vermittler und Publikum sind offen genug für eine Form der gegenseitigen Annäherung, die nicht selbst wieder Opfer festgefahrener Vermittlungssituationen ("Führung", "Atelierbesuch", "Vortrag", "Home-Story") wird.

Eine Ausstellung im Bonner Kunstverein
In exemplarischer Weise arbeiten Kunstvereine an jener Keimschicht, die sich zwischen aktueller Kunstproduktion und dem engagierten Interesse dafür ergibt. Die Ähnlichkeiten zwischen KünstlerInnen und diesen gesellschaftlichen Vereinigungen sind auffallend: sach- statt profitorientiert, mit einem entschiedenen Interesse, Dinge zu analysieren und dadurch Änderungen denkbar und realisierbar zu machen und nicht zuletzt mit existenznotwendigen Abgrenzungsideen ausgestattet - so konstituieren sich KünstlerInnen und eben auch Kunstvereine am Anfang ihrer Wege. Und ebenso scheinen die anschließenden Entwicklungsprozesse in der Natur der Sache zu liegen: KünstlerInnen werden scheitern (oder doch berühmt), Kunstvereine versuchen, sich nicht allzusehr zu institutionalisieren oder sie hören auf zu existieren - im Vereinsregister oder in der Optik der an aktueller Kunst Interessierten. Ein angestammtes und selbst erarbeitetes Programm, das optische verbreitete Wiedererkennungsmerkmal der KünstlerIn, ein Gebäude für einen Kunstverein: sie sind ebenso eine Hypothek für die Freiheit, die man sich in Zukunft erhofft, wie materielle Voraussetzung der Gegenwartssicherung. Eine weitere Parallele sei noch hinzugefügt. Ob es die KünstlerIn ist, die zunächst einmal nur für sich produziert und dann die Öffentlichkeit teilhaben läßt, oder ob der Kunstverein sein (Reise-, Jahresgaben-)Programm zunächst nur für die Mitglieder reserviert: beidesmal geht es nicht um jede Form von Öffentlichkeit, sondern in erster Linie um eine durch den eigenen Gesichtskreis bestimmte. Trotzdem, irgendwann einmal tritt eine größere Öffentlichkeit hinzu - und mit ihr entsprechende Zielkonflikte. Hier ankert das Projekt "mitteln".

Ein konkreter Anknüpfungspunkt des Projekts ist die Architektur des Kunstvereinsdomizils. Geplant von Haus-Rucker-Co, die langezeit nicht als Architektengruppe im herkömmlichen Sinne, sondern als Produzenten bildender Kunst auftraten, birgt der Umbau der ehemaligen Blumenmarkthalle eine eigene Programmatik. Im Laufe zahlreicher Ausstellungen hat sich der zentrale Raum der großen Halle als ein Ort herausgestellt, über welchen hinweg die ausgestellten oder in den Raum eingestellten Arbeiten eine Zwiesprache entwickeln. Die Frage nach dem Verbindenden dieses Raumkompartiments und seine Möglichkeit zur Nutzung als zentralem Veranstaltungsort stand daher ebenso am Anfang dieses Projekts wie die nach der Rolle der gesamten Architekturkonzeption.

Die vorab getroffene Auswahl von vier KünstlerInnen und die vom Seminar hinzu gewählten zehn weiteren Positionen ergeben kein einheitliches Programm und sind auch nicht unter einem solchen Gesichtspunkt zustande gekommen. Sie bringen jedoch in ihrer Gesamtheit eine vielschichtige Auseinandersetzung in Gang, sowohl mit der Architektur als auch mit der Institution, die sie nutzt. Es geht - quasi als Nagelprobe - auch um die Offenheit des Vorgefundenen für individuelle Projekte. Daß dadurch letztlich erst im Laufe der Zeit ein stimmiges Gefüge im Sinne einer Ausstellung oder eines sonstigen Raumbilds entsteht, ist ein bewußter Gegensatz zu sonstiger kuratorischer Praxis.

Die Räumlichkeiten des Bonner Kunstvereins bilden kein gerade schlichtes Raumgefüge. Im Vorlauf des Projektes haben die verbale Rahmenvorgabe des "mittelns", die Beteiligung vieler KünstlerInnen und die Architektur insbesondere der großen Halle im Bonner Kunstverein auf die Beteiligten zunächst eher abschreckend gewirkt. Erst allmählich stellte sich ein Miteinander ein; sowohl in räumlicher als auch in inhaltlicher Hinsicht. Selbstverständlich liegt das zu keinem geringen Teil daran, daß von KünstlerInnen ein stark individualisiertes Handeln erwartet wird, das zunächst Rückzugsräume braucht. Auch die Frage nach einem gruppenmotorischen Prozeß 6 wirkt gewiß nicht gerade stimulierend für ein Ereignis, das sein Profil eben nicht durch die klare theoretische Vorgaben einer Themenausstellung erzeugen wollte - geschweige denn als konsensuales Gesamtwerk. Letztlich wird als gemeinsames Band der Ausstellung in der Tat das immer noch nicht definierte Wort "mitteln" wie auch der Bezug zum Ausstellungsraum und der Institution Bonner Kunstverein sichtbar. Gleichzeitig markiert das Projekt ein Stück praktizierten gemeinsamen Nachdenkens und Handelns von Künstlern, Studierenden, Kunstverein, Kunsthistorischem Institut und einer ganzen Reihe weiterer Kulturinstitutionen und privaten Personen. Zwischen institutioneller Kritik und Selbstreflexion, zwischen geschichtlicher und theoretischer Betrachtungsweise und Projektmanagement ist ein Ergebnis entstanden, von dem Katalog und Ausstellung zwar Elemente zeigen, das aber darüber hinausgeht - gedanklich, zeitlich und räumlich.

Orte zu Räumen - Räume zu Orten
Installationen sind eine heute selbstverständliche eigene Gattung der bildenden Kunst geworden, ohne daß es dafür einen akademischen Lehrstuhl gäbe wie für Malerei, Skulptur, Architektur, Grafik, Fotografie, oder CAD-Design. Auch eine zusammenfassende kunstgeschichtliche Studie zur raumbezogenen Kunst steht aus. Dabei ist die Idee geradezu verlockend: man denke sich eine der beliebten historischen Hilfslinien von der Höhlenmagie der Steinzeit über die heiligen Gräber des Mittelalters, gesamtkünstlerisch konzipierten Renaissance-Kapellen, über barocke Schloß- und Gartenanlagen bis hin zu Marcel Duchamp, der in kluger Vorarbeit seine wichtigsten Werke in das Philadelphia Museum of Art lancierte, um mehr oder weniger mitten im Museum mit seiner - vorher lange geheim gehaltenen - letzten Arbeit eine Synthese aus räumlichen, bildnerischen und situativen Elementen zu schaffen. Diese Hilfslinie könnte sich fortsetzen in den Environments und Installationen der sechziger Jahre, deren Urahn der Licht-Raum-Modulator von Lazlo Moholy-Nagy ist. Sie könnte in der - häufig soziale Situationen thematisierenden - Kunst der siebziger Jahre eine besondere Wendung nehmen, um schließlich vor der Nähe heutiger Phänomene zu kapitulieren und ein unüberschaubar gewordenes Maß an wechselseitigen Einflüssen zu beklagen. So verläuft die Kunstgeschichte wohl kaum, und auch ihre Schreibung würde keinen schlüssigen Zusammenhang erzeugen können - was immerhin in bescheidenen Maßen von ihr erwartet wird und sie auch selbst von sich behauptet.

Im Gegenteil: vielleicht ist es ganz gut, daß es diesen Versuch noch nicht gibt.7 Schließlich sind im Bereich raumbezogener Kunst so zahlreiche mediale Querverweise nötig, daß es weit eher sinnvoll ist, Fallstudien zu erstellen, den Messebau der zehner und zwanziger Jahre in Beziehung zu bringen mit den Prounenräumen El Lissitzkys 8, oder das Unbehagen an der schon früher öfters einmal suspekten Malerei mit dem alle Ausdrucksformen umfassenden MERZbau von Kurt Schwitters beispielsweise. Die räumlichen Aneignungsstrategien der russischen Revolutionskunst lassen sich umfassend nur begreifen mit Blick auf die gesellschaftlichen Aneignungssituationen, aus denen sie stammten und in die sie einige Jahre hineinwirken durften. Nicht zuletzt spielen in diese Überlegungen immer Wechselwirkungen mit den physikalischen oder philosophischen Raumvorstellungen stark hinein, und die punktuelle Zusammenarbeit zwischen Helmut Heisenberg und dem am Bauhaus ausgebildeten Hans Haffenrichter, der ihm bei der theoretischen Arbeit als Künstler in Anschaulichkeitsfragen zuarbeitete 9, dürfte hier kein Einzelfall sein. Und: Setzt nicht Bruce Naumans Performance Tony sinking into the floor wortwörtlich in Aktion um, was Rudolf Arnheims Buch "Die Macht der Mitte" als vektorielle Grundbestimmung menschlicher Existenz in der Schwerkraft festmacht 10 - und das trotz der doch derart verschiedenen Temperamente?

Wahrscheinlich zwingt ein so offensichtlich komplexes Feld zu Einschränkungen der Optik. Ob dabei eine verbale Einkreisung und Trennschärfe wirklich für jeden Begriff Sinn macht, ist noch keinesfalls erwiesen. Andererseits bilden sich in schöner Regelmäßigkeit um als zentral angesehene Begriffe Kraftfelder, und zumindest für diese Sprach-Stellen lohnt die Probe, ob sie denn mit Visuellem in Zusammenhang stehen, damit Schritt halten, und es gegebenenfalls sogar bereichern könnten. Für den Begriff des Raumes jedenfalls lohnt eine solche Einkreisung kaum. Der - nächstliegende - euklidische Raumbegriff (Länge, Breite und Höhe) beeinflußt dabei gewiß am stärksten künstlerisches Arbeiten mit Raum, denn er ist nicht nur der kulturell am weitesten verbreitete; sondern stellt auch die wesentlichen Grundbedingungen, an denen Architektur konstruiert wird. Eine präzisere Handhabung von Raumbegriffen ist gleichwohl ein schon traditionelles Problem, das sich nicht nur geradezu zyklisch wiederkehrenden physikalischen Neubewertungen verdankt, sondern auch innerhalb der Philosophie schon Tradition hat.11

"Installation"
"Installation umfaßt alle Anlagen für Be- und Entwässerung, Gas- und Elektrizitätsversorgung, Heizung, Lüftung, elektrische Klingelanlagen usw. Zwar bestehen für die einzelnen Gebiete der Installation technische Vorschriften, wie sie etwa in (I) zusammengefaßt sind, doch ist die Installationstechnik in ihrer wissenschaftlichen Behandlung gegenüber anderen Zweigen der Technik noch zurückgeblieben, ein Mangel, der namentlich seitens der Fachleute der Installationstechnik stark empfunden wird." 12
Die Verwendung des heutigen Begriffs von Installation entsteht in den sechziger Jahren. "The diagonal (gemeint ist the diagonal of personal ecstasy (the diagonal of May 25, 1963, J.S.) in its overt formal simplicity was only the installation of a dimensional or distended luminous line of a standard industrial device. Little artistic craft could be possible."13 Offensichtlich zielte Flavins Verwendung des Worts seinerzeit eben nicht auf die Etablierung eines neuen Gattungsbegriffs, sondern war ein (bewußt?) wertfrei verwendeter Begriff. Auch Donald Judd benutzt in seinem Eingehen auf die Tendenz der Zeitgenossen zur Installation nicht den Begriff - sondern kennzeichnet den Umstand immer wieder als Dreidimensionalität. 14 Die Künstlerfotos von Ausstellungen in der legendären Galerie "wide white space" in Antwerpen kennen seit 1967 den Begriff, aber ebenfalls in der oben angeführten technischen Funktion.15 Die kunsttheoretische und kunsthistorische Nomenklatura hat das Wort wohl später als Gattungsbegriff eingesetzt. "An installation is a site-specific art work, created for a gallery or outdoor location."16 So schön und tapfer jedoch der Versuch einer definitorischen Eingrenzung des Begriffs sein mag: eine Internetsuche (bei nur einer möglichen Suchmaschine 17) nach seiner Verwendung ergibt 1997 eine knappe Million Verwendungen allein der Wortkombination "installation art". Ob sie wohl alle dieselbe Definition im Kopf haben?

Zur heutigen Verwendung des Begriffs trägt wesentlich ein Umstand bei, daß während der siebziger Jahre immer mehr kontextuelle Elemente an Gewicht gewannen. Ein Faktor dieser Entwicklung sind nicht nur die politischen Ereignisse seit 1968, sondern auch der Wechsel in den künstlerischen Ausdrucksmitteln. Aktionistische Elemente beispielsweise, oder die - durch die Minimalisten durchaus vorbereitete - Verankerung im Gedanklichen betonten neben der geometrischen Komponente immer stärker auch den Bezug zum Publikum. Schließlich wurde auch das soziale Umfeld der künstlerischen Produzenten stärker zum Thema und damit bewegten sich zahlreiche Installationen außerhalb der für Kunst vorgesehenen Häuser. Für die raumbezogene Kunst bedeutete das die genaue Ausdifferenzierung ihres "Ortes" als ein Zusammentreffen von räumlichen und kulturellen (sozialen, geschichtlichen, emotionalen) Bestimmtheiten. Dadurch bringt diese "Verortung" immer auch eine Zuspitzung auf nur einen möglichen Ort mit sich 18.
Es ist auffallend, wie sich diese Bestimmtheit raumbezogener Kunst in den achtziger Jahren versinnlicht und dabei diversifiziert. Mit der Entwicklung der Videoinstallation ließe sich das exemplarisch zeigen: ursprünglich als bewußt un-auratisches Ausdrucksmittel eingeführt, bemächtigt sich die zunächst sehr technisch gesehene Möglichkeit bewegter elektronischer Bilder im Videoband zusehends der traditionellen (und auratisierten) Vermittlungswege der Skulptur 19
oder - in Form der Projektion - des Kinos.

Kontextdiskussion/Raumfrage
Spätestens seit Peter Weibels umfangreichem Projekt "Kontext Kunst"20 hat sich die Kontextdiskussion auch ihres eigenen historischen Kontextes versichert. In der Tat spielt die Reflexion des eigenen Tuns eine schon immer gewichtige Rolle innerhalb des künstlerischen Arbeitens. Dazu gehört nicht nur die Auseinandersetzung mit der Sinnfrage einzelner Medien.21 Und daß Institutionen wie der Kunstmarkt suspekt sein und schon immer scheinen konnten, bedarf ebenso wenig einer umfänglichen Erläuterung.
Im hier in Frage stehenden Zusammenhang ist die Gestalt und Funktion von Kunsträumen interessant und vor allem inwieweit sie selbst Gegenstand künstlerischen Arbeitens geworden ist. Zunächst mögen den Betrieb behindernde oder ihn verweigernde Haltungen auffallen, von denen Marcel Duchamps Installation von 1200 Kohlesäcken unter der Decke des Raums für die "Exposition International du Surréalisme 1938" oder die Verschnürung des Ausstellungsraums von "First Papers of Surrealism" 1942 gewiß Marksteine sind. Yves Kleins kategoriale Maßnahme, die Galerie Iris Clert 1958 als Ort seiner Ausstellung Le Vide zu nutzen und außer weiß gestrichenen und ausgeleuchteten Räumen nichts zu zeigen, setzte sich über die materiellen Bedingungen des Kunstorts mit der ihm eigenen mystisch-philosophischen Noblesse hinweg. Als Arman ihm in den selben Räumen mit der Aktion Le Plein (1960, bestehend aus zwei Containern voller Müll in der Galerie) antwortete, spätestens aber mit Christos Verhüllung der Kunsthalle Bern 1968 muß der Bezug zwischen konzeptueller Reaktion auf Institutionen und konkret auf den Raum bezogenen künstlerischen Arbeiten deutlich spürbar gewesen sein. Daß es die Ausstattung von Sammlungsräumen und das Einrichten von Ausstellungen durch Künstler auch schon lange gegeben hat 22 - und damit ein eigenes Feld raumbezogenen kontextuellen Arbeitens, sei hier ausdrücklich erwähnt.

WC (white cube)
Brian O´Dohertys 1976 geschriebener Essay "Towards the white cube" 23 hat die angenehme Eigenschaft, distanziert zu sein - und gleichzeitig aus enger Kenntnis heraus verbindlich. Nur wenige Autoren haben sich seinen gleichermaßen überzeugenden wie ironischen Überlegungen verweigern können. In Details stecken jedoch viele Fragen, die heftige Kontroversen in Gang bringen können.
Eine davon: Zahlreiche Galerie- und Ausstellungsräume, folgen den darin beschriebenen Ideen auch in der Form möglichst genau: "Die Wände sind weiß getüncht. Die Decke wird zur Lichtquelle. Der Fußboden bleibt entweder blank poliertes Holz, so daß man jeden Schritt hört, oder aber er wird mit Teppichboden belegt (...)."24 Aber: es gibt kaum Räume, die ausschließlich dieser Beschreibung folgen und ohne spezifische Elemente existieren. Die Standardisierung von Ausstellungsräumen funktioniert nur am Anfang im oben beschriebenen Sinne richtig reibungslos.
Der Vergleich zu anderen Inszenierungsräumen wie der Mailänder Scala, der New Yorker Met (oder irgend einem peripheren Pendant dazu) ist erhellend: Eine spezifische Art Aura entsteht recht schnell durch die Aufführungen, die diese Bühnen gesehen haben, und diese macht daraus immer mehr als nur einen beliebigen Spiel-Ort. Muß das nicht auch für Ausstellungsräume gelten? Wenn man sich von der Vorstellung löst, daß Kunst nur in dem Augenblick funktioniert, wo sie materiell anwesend ist, bleiben Spuren sehr zahlreicher Raumvorstellungen in diesen Ausstellungsräumen zurück. Für das Treppenhaus des Kasseler Fridericianums beispielsweise ist das ein wesentlicher Umstand, der von Documenta zu Documenta neue Aufgaben stellt 25.
Nun läßt sich über diese geschichtlichen und kultischen Prägungen schlecht theoretisieren. Gerade in der sich programmatisch "wide white space Gallery" nennenden Unternehmung zeigt sich diese bezeichnende Paradoxie "optimaler Bedingungen" 26. So wichtig auch immer die Standardisierung des "white cube" für die Gedankenarbeit am und im Kontext Kunst ist, die spärlichen gestalterischen Elemente der puren weißen Ausstellungswürfel - und ausgerechnet davon abweichende - werden zum Anknüpfungspunkt künstlerischen Arbeitens. Möglicherweise liegt das an der programmatischen Reizlosigkeit dieses Raumtypus. Und vielleicht hat das ursprüngliche konzeptuelle Programm ebenfalls schon etwas von seinem Reiz eingebüßt. Letztlich hilft gerade das Ortsspezifische von Ausstellungsräumen, ihre gesellschaftliche Funktion und ihr formales Innenleben, jene Diskussion fortzusetzen, deren Fortleben O´Dohertys Nachwort 1982 so erstaunt festhält - und die auch noch keineswegs zu Ende ist.

Abbildungstexte:
Marc Mer: scene / obscene. Erster Entwurf für das Ausstellungsprojekt mitteln, 1996.
Marcel Duchamp: 1200 Kohlesäcke, 1938. Fragwürdige Rekonstruktion der ursprünglichen Installation durch Salvatore Dali in seinem Museum in Figueras.
Elektroinstallationen, Bath/GB, 1995


Fußnoten
1 Sedlmayr, Hans: Verlust der Mitte. Salzburg 1948
2 Als Beispiel eine Konfrontation von documenta-Theorien: "Heute müssen die Dinge selbst wieder wichtiger werden als das, was wir über sie zu sagen haben." Jan Hoet, in: Eine Einführung. Documenta IX, Ausst.Kat., Stuttgart 1992, Bd. 1, S. 20. "Mit der Veröffentlichung von Arbeitspapieren, deren erste Ausgabe Sie gerade in Händen halten, möchte das documenta-Team diesen Prozeß der Montage aufzeichnen. (...) In jedem Heft werden vielmehr Fragen gestellt, Gedanken verfolgt, Arbeitsthesen geprüft, die Zusammengetragen, eine Art Niederschrift des Ausstellungsprozesses bilden und das "hic et nunc" der documenta bestimmen." Catherine David, in: Editorial. documenta x documents, Ostfildern 1996, S. 1f.
3 Gemeint sind Projekte wie: Westkunst, Der Hang zum Gesamtkunstwerk. Eine Übersicht befindet sich in der abschließenden Bibliografie.
4 "Muß es zu diesem Projekt einen Katalog geben?" Frage von Mischa Kuball am 3.5.97 anläßlich der ersten vorbereitenden Künstlerrunde.
5 Das führt zu eigentümlichen Verzerrungen: Für massenkulturelle Zielsetzungen setzen die Musicals Standards: in ihnen konzentriert sich wirtschaftlicher Erfolg und Emotionalität. Diese Bilderbuchehe im Bereich der Kunst diskreditiert jedoch als Vorgabe andere Verbindungen.
6 Norbert Kottmann beim ersten Künstlertreffen am 3.5.1997.
7 Das heißt beileibe nicht, daß nicht schon reichlich Literatur zu diesem Feld erschienen ist. Besondere Beachtung verdient - neben Brian O´Dohertys unverwüstlichen Überlegungen aus den Jahr 1976 "Towards the white cube" der Versuch "Installation Art" (London 1994, s. Literaturliste), da hier bereits die Komplexität der Fragestellung Eingang in die Struktur des visuell und an Verweisen reichen Buches gefunden hat. Im Anhang dieser Publikation wird der Versuch unternommen, diese - in Auswahl - etwas zu strukturieren.
8 ... und von dort aus über Richard Hamiltons Umgangsweisen mit dem Messebau bei der Ausstellung "This is Tomorrow" (Whitechapel Art Gallery London, 1956) zu praktischen Formen heutiger Schnittpunkte weiterzuhangeln ...
9 siehe Hans Haffenrichter: Ausstellungskatalog Würzburg (Städtische Galerie) 1991.
10 Arnheim, Rudolf: Die Macht der Mitte, Köln, 1996, S.34. Die Aktion Naumans wird eingehend geschildert in: Das eigene Zentrum. Ein Interview mit Jan Butterfield. In: Nauman, Bruce: Interviews 1967-1988. Amsterdam 1996, S.88.
11 "Mag auch bei Kant selbst eine sachliche Unklarheit vielleicht nicht abzuleugnen sein, so bewahrheitet sich hier nur sein eigenes Wort: "dass es gar nichts ungewöhnliches sei (...) durch die Vergleichung der Gedanken, welche ein Verfasser über seinen Gegenstand äußert, ihn sogar besser zu verstehen, als er sich selbst verstand (...)."Stahl, Johannes E.: Eine Kritik von Kants Raumerörterung, Hamburg 1917, S. 7.
12 Wasmuths Lexikon der Baukunst, Berlin 1931, S. 15. (I): Technische Vorschriften für Bauleistungen, aufgestellt vom Reichs-Verdingungs-Ausschuß, Berlin, 1926.
13 Flavin, Dan: ... in daylight or cool white. In: Artforum, Dec. 1965, S. 20-24. Wiederabdruck einer Vorlesung aus dem Dezember 1964. Er lehnt gleichwohl die Charakterisierung seiner Arbeit als "Skulptur" strikt ab und kennzeichnet sie meist mit "proposal" oder "arrangement". Zit. nach.: Dan Flavin. three installations in fluorescent light Drei Installationen in fluoreszierendem Licht. Ausst.kat. Kunsthalle Köln 1973. Hier verwendet er inzwischen übrigens selbst das Wort "installation" - und in der deutschen Übersetzung heißt es "Aufbauten".
14 Judd, Donald: Spezifische Objekte (Orig.: specific objects; 1965). Zit.n. Glozer, Llaszlo: Westkunst. Zeitgenössische Kunst nach 1939. Köln 1981., S. 267-278. Ein Parallelfall hierzu wäre die Verwendung des Begriffs "happening" bei Allan Kaprow.
15 "Ich denke, Ende 1967, Anfang 1968 sind sich die Künstler wirklich bewußt, eine Installation in einem Raum vorzunehmen. So trugen die Fotos auf der Rückseite den Vermerk "Installation view", was neu war." Anny de Decker, in: Wide white space. Ausstellungskatalog Bruxelles (Palais des Beaux Arts) Bonn (Kunstmusuem) 1995, S. 45.
16 Duro, Paul; Greenhalgh, Michael: Essential art history. London 1994, S. 163. Ein Eingehen auf den Begriff "site" kann hier mit Hinblick auf ein entsprechendes Kapitel in "Installation art" (s. Literaturliste) unterbleiben.
17 http://arthema.com; 3.10.97
18 Foucault, Michel: Andere Räume. (Urspr. Vortrag 1967, der wiederholt in unterschiedlichen Zusammenhängen abgedruckt wurde (Ausst.Kat. Int. Bauaustellung Berlin 1987, Aisthesis (Leipzig) 1990, Translokationen (Wien) 1993, zuletzt in Documenta x. Ausstellungskatalog Ostfildern 1997. Letztlich kommt es der Etymologie des Wortes sehr nahe, die es aus dem gleichen Stamm wie "Spitze", "Ende", "Stelle" (heute z.B. Duisburg-Ruhrort) herleitet. Etymologisches Lexikon des Deutschen. Hg. v. W. Pfeiffer u.a., Berlin 1989, S. 1210.
19 Decker, Edith/Herzogenrath, Wulf (Hg.): VideoSkulptur retrospektiv. Ausstellungskat. Kölnischer Kunstverein 1989.
20 Weibel, Peter: Kontext Kunst. Köln 1994 (=Ausstellungskatalog Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum Graz 1993).
21 Jörg Immendorf: Hört auf zu malen, Kunstharz auf Leinwand 1965, Sted. VanAbbemuseum, Eindhoven
22 Brian O´Doherty (dem die Darstellung hier in einigem folgt) reklamiert eine wesentlich vernachlässigte Forschungsmöglichkeit für die Kunstgeschichte. Ders.: In der Weißen Zelle, Anmerkungen zum Galerie-Raum. Berlin 1996, (Orig. verschiedene Artforum-Artikel 1976, deutsch Kassel 1982) S. 70ff.
23 O´Doherty, ebd. Insbesondere das Nachwort von M. Brüderlin, das diese Diskussion auszugsweise spiegelt.
24 ebd., S. 10.
25 Renate Petzinger und Volker Rattemeyer : Pars pro Toto. In: Kunstforum Bd. 90, 1987, S.334-357.
26 Wide white space. Ausstellungskatalog Bruxelles (Palais des Beaux Arts) Bonn (Kunstmusuem) 1995. Ähnliche monografische Studien hätten gewiß verdient: das Kunstforum in München, in dessen Schaufenstersituation beispielsweise Joseph Beuys` "Zeige Deine Wunde" eine besonders deutliche Wirkung bekam, oder der Portikus in Frankfurt/M,

Abbildungen
1 Karin Sander: Schwerpunkt der Stadt Münster. 1997
2 Marc Mer: scene - obscene. Entwurf für das Ausstellungsprojekt mitteln, 1996.
3 Laszlo Moholy-Nagy: Licht-Raum-Modulator, 1930.
4 Elektroinstallationen, Bath/GB, 1995
5 Marcel Duchamp: 1200 Kohlesäcke, 1938. Fragwürdige Rekonstruktion der ursprünglichen Installation durch Salvatore Dali in seinem Museum in Figueras.