Johannes Stahl
Trägerstoff mit Zeichen

Kommunikation
Kommunikation ist einer jener Begriffe, die verdächtig sind, unserem Zeitalter einmal als Attribut beigefügt zu werden. Schon im Kindesalter werden Menschen mit dem Modell „Sender-Kanal-Empfänger“ vertraut gemacht - ein Vorgang, der fast an religiöse Erziehung denken lässt. Das Wort "Kommunikation" ist seiner Bedeutung entsprechend dehnbar: Kostenansätze für Projekte beispielsweise sprechen von Kommunikationskosten und eine Fachzeitschrift für Werbeprofis nennt sich klar und wahr „Kommunikation". Letzterer Umstand ist viel sagend: Gerade Werbung ist oft auf widerspruchslose Überzeugung aus: der Rückweg der "Kommunikation" ist meist lediglich die Erfolgskontrolle - fal1s die Werbekampagne sich überhaupt bilanzieren lässt.

Kommunizierbarkeit
Die Idee, mit jedem und jederzeit Kommunikation zu haben, ist eine beliebte, aber oft allzu ideal angesetzte Vorstellung. Mechanisch-physikalische Gedankengebilde stehen Pate, wenn Kommunikationstheorie entsteht. Das Geste der kommunizierenden Röhren behauptet eine direkte Wechselwirkung von im Zusammenhang stehenden Flüssigkeitsmengen: Wenn sich der Pegel der einen Röhre hebt, senkt sich bei gleicher Flüssigkeitsmenge der der anderen Röhre; ist insgesamt mehr Flüssigkeit vorhanden, steigen die Pegel auf die gleiche Höhe an. Naturwissenschaftliche Gesetze sind lehrreich, auf soziale Belange aber nur selten einfach übertragbar. Kommunikationsvorgänge sind Aktionen, denen Philosophen mit äußerster Vorsicht, ja Skepsis begegnen: "Ihr müßt mich nicht durch Widerspruch verwirren. Sobald man spricht beginnt man schon zu irren."1 1

Die Kommunikation im Zeitafter ihrer Technizierbareit
Im Strudel der selbst entfachten Diskussion paddelnd, greift der Documenta-Macher Jan Hoet auf eine archaischere Welt der Kommunikation zurück:"Ich zweifle manchmal daran, ob ich überhaupt noch will, dass man meine Gedanken liest. Mir scheint es besser zu reden, wichtiger als das selbstbezogene Umkreisen der Dinge ist der Dialog"2. Hoet befindet sich in einer Reihe mit zahlreichen Vorgängern, die der schriftlichen Übermittlung misstrauten. Für Joseph Beuys war es geradezu ein Credo, seine Gedanken nicht als systematischen Entwurf in Buchform zusammenzustellen, sondern aus der jeweiligen Gesprächssituation erneut zu aktualisieren.3 Die Schreibmaschine und das Telefon benutzte er zwar auch, aber seine Hingabe galt neben dem Gespräch dem handschriftlichen Brief.

Weite und Vielfalt der technisierten Kommunikation
Die spezifische Bestimmtheit der technisierten Kommunikation ist auf künstlerischem Gebiet noch recht unberührt. Die Gesprächstechniken am Telefon - als ältere Technologie - bilden möglicherweise ab, was noch zu erwarten steht. Es gibt Seminare, die telefonisches Gesprächsverhalten schulen: Bitte nennen Sie deutlich Namen und Rufnummer. Wir rufen Sie zurück. Dabei spielt immer wieder die Diskrepanz zwischen akustischer Nähe und optischer Abwesenheit eine Rolle, wie sie Jean Cocteau in "Geliebte Stimme" ausgereizt hat: aus der Diskrepanz vom am Telefon Gesagten und der für den Partner nicht sichtbaren Handlung lebt dieses nicht ohne medialen Grund klassische Einpersonenstück.

Fax/Telefon
Das Geschäftsverhalten von ehemals einander vertrauenden Partnern hat sich entscheidend geändert. Zunächst versprach man sich vom Fax, nicht mehr für ein paar Vereinbarungen zeitverzögerte Briefe schreiben oder telefonieren zu müssen, sondern sie gleich schriftlich machen zu können. Heute weiß man, dass man für ein paar Vereinbarungen nicht mehr telefonieren darf, sondern sie schriftlich machen muss. Trotz aller wirklichen Erleichterungen übt die neue Kommunikationseinrichtung einen latenten und uneingestandenen Druck aus.4

Fax
Transportverluste sind üblich: für die Faxwiedergabe eines plakativen Holzschnittes ist die Kommunikationseinrichtung eine Viertelstunde lang blockiert gewesen. Schade, wenn das Übermittelte keine neue Realität erzeugt, sondern nur die Verluste gegenüber dem Ausgangsmaterial veranschaulicht. Häufig genug kollidieren Briefköpfe optisch mit der Statuszeile des Fax. Die Lösung dieser frage ist nicht nur im Layout zu suchen, sondern in der grundsätzlichen Kommunikationshaltung.

Kommunikation als künstlerische Produktionsbedingung
Die Kunstgeschichte kennt zahlreiche kommunikativ angelegte Versuchen mehrerer Künstler, gemeinsam die kreative Phase des Schaffens zu teilen und mitzuteilen. Seien es die geselligen Runden der Renaissance, wo Künstler einander auf dem Tischtuch karikierten und sich so im klassischen künstlerischen Entwurfs- und Ideenmedium der Zeichnung begegneten, sei es die wahrscheinlich eher generalstabsmäßige Besprechung im Büro Rubens, wo ein Staatsauftrag zu einem Ölbild werden sollte oder seien es die mittlerweile auch schon in der kunstgeschichtliche Forschung zu Ehren gekommenen Postkarten- und Briefwechsel der Expressionisten, in denen sich künstlerische Kommunikation in Skizzen vollzog.

Gemeinsam ein Werk schaffen
Dass solche eher theoretischen Verbindungen auch zu handfesten Werken geführt haben, liegt nahe. Ein besonderes Beispiel in diesem Zusammenhang sind die Freundschaftsbilder. Zwei Maler malten jeweils eine Bildhälfte mit dem Porträt des anderen; gemeinsam entstand auf diese Weise ein Bild nicht nur der Freunde, sondern ebenso der Freundschaft. Auch die gemeinschaftliche Ausmalung von Atelierräumen gehört in diesen Zusammenhang; immerhin wurde so der Produktionsort von Kunst Thema und Ergebnis. Dass auch die gemeinsame Hängung großer Ausstellungen und deren theoretische wie künstlerische Prägung spätestens seit Beginn unseres Jahrhundert feststand, sollte hier eigens erwähnt sein.

Kommunikationswünsche
Weltweite Kommunikation ist zwar immer wieder ein vielfach geäußerter Wunsch für künstlerisches Arbeiten, entsprechend strukturierte Kunstbewegungen lassen sich jedoch nur wenige ausmachen und ihre zugrunde liegende Kommunikation kaum je genau festhalten. Zwei idealtypische Ansätze bieten sich an: das der surrealistischen Internationale und (neben Fluxus natürlich) das des "Global groove". Von daher ist ein Faxprojekt der achtziger Jahre eine logische Fortsetzung solcher Ansätze. Dennoch, die veränderten Kommunikationsbedingungen und das veränderte Kommunikationsbewusstsein spielen in diesem Zusammenhang eine größere Rolle, als es im Sinne einer ruhigen Kunstgeschichtschreibung wünschenswert wäre. Zunächst bringt die Entfernung zwischen Orten wie New York, Düsseldorf, Chicago, Karlsruhe und Leipzig mehr als nur technische Übermittlungsprobleme mit sich: die hier wahrscheinlichen Mentalitätsunterschiede, der Abstand von Kulturen und nicht zuletzt auch das Lebensalter der Beteiligten bieten zunächst einmal Hürden für einen ungehemmten Austausch in einem stark vorstrukturierten Medium. Was früher über Weltreisende wie Marcel Duchamp, Wassily Kandinsky oder Theo van Doesburg durch die Autorität der im Wortsinne erfahrenen Person vereint schien, muss sich geradezu bei einem von der Gleichwertigkeit der Beteiligten ausgehenden Ansatz als Problem aufwerfen.

Wie muss nun eine Kommunikation beschaffen sein, die über Fax ein gemeinsames künstlerisches Werk entstehen lässt?
Das Übertragungsgerät Fernkopierer bietet eine technische Ausstattung, die Skizzen gut übermitteln kann, Texte noch viel besser. Material oder Dreidimensionales lässt sich dagegen überhaupt nicht fernkopieren. Von daher ist wahrscheinlich, dass die Kommunikation sehr abstrakt verläuft. Zum anderen ergibt sich - anders als bei mündlichen Verhandlungen - jedesmal ein Dokument, das den derzeitigen Stand festhält. Das kann sowohl eine Zeichnung als auch ein Text sein. Das Protokollieren scheint eine wichtige Eigenschaft von Faxgeräten zu sein, die nicht nur den Inhalt der übermittelten Botschaften verdoppelt festhält, sondern auch die Adressaten: allabendlich berichten sie an ihre Besitzer, an wen Faxe versandt wurden. Für die künstlerische Kommunikation bringt das einiges Ungewohnte mit sich: Die Gespräche verlaufen deutlich gebundener an die Form als ein kreativer Kaffeeklatsch, andererseits wird sich eine Tendenz zur Metaebene der Kommunikation ergeben, denn die Form der Kommunikation ist durch das Gerät stark vorgeprägt und der – sonst unter Künstlern nicht in dieser Form übliche - protokollarische Charakter gehört zur Auseinandersetzung. Gleichzeitig mit den Protokollen ergibt sich eine den Entwicklungsgang in allen einzelnen Fasern widerspiegelnde Menge an Protokollen. Zu überdenken wäre, ob diese möglicherweise den vorbereitenden "Skizzen" entsprechen, die früher an Akademien als bindend für die Entwicklung eines künstlerischen Gedankens gelehrt wurden. Faxgeräte sind sehr schnell in der Übermittlung von Dokumenten. Der Entwurfsprozess kann erstaunlich rasch vorangehen, wenn das gewünscht und verkraftet wird. Die Geschwindigkeit verunklärt jedoch diesen Entwicklungsgang oft: manche zu rasche Kommunikation erfährt auf diese Weise Dutzende von Korrekturen - ein Umstand, der in der Erstellung von Texten erstaunlich viel verändert hat. Kurzum: es bleibt auszuprobieren, wie Vorteile und Nachteile dieser Dynamik sich auf ein Kunstwerk auswirken.

Wie kann man ein solches Projekt visualisieren?
Es ist ein altes Lied und aus den Präsentationsgelüsten jedes neuen künstlerischen Ausdruckmittels wohlbekannt: ein neues "Medium" braucht fast regelmäßig eine neue Präsentationsform. Graphik schuf sich die Kabinette, die Konzeptkunst brauchte zunächst einmal ein neues Bewusstsein für Ausstellungsorte schlechthin, der Film schuf sich Kinoräume, die Panoramamalerei Rundbauten, Videobänder bemühten sich lange und immer noch meist vergeblich um die Aufnahme ins Fernsehen und fast jedem Veranstalter fehlt die rechte Eingabe, wo denn die Performance stattfinden soll - nur bitte nicht im Stadttheater. Bietet die Animationstechnik einen Weg, um aus den zahlreichen Schritten eines Faxprojektes einen Trickfilm entstehen zu lassen, in dessen Tonspur die geschriebenen Texte eingelagert werden? Noch fehlt neben dem Aktenordner ein dem Faxpapier vorbehaltenes Archivierungssystem, wie es für Videobänder die Bildplatte und für Software der externe Speicher ist. Und so wichtig alle diese Archivierungsysteme für die Konservierung des elektronischen Materials auch sein mögen: sie sind wenig hilfreich bei der Suche nach einer dem Kunstkontext angemessenen Präsentation. Ein Ausgabegerät, an dem Besucher die jeweilige Form des Projekts zu einem bestimmten Zeitpunkt abrufen könnten, wäre eventuell die dem Medium verwandteste Präsentationsform, bleibt aber ein wenig kalt. In der Videokunst - wo auch nicht jedem das Design der Firma NY zusagt - hat sich die Videoinstallation als Brückenschlag zwischen alten und neuen Medien entwickelt; die Copy-art benutzt ihre massenweisen Ergebnisse öfters tapetenartig als Wandgestaltung. Welchen Weg der Präsentation auch immer man einschlägt; ein Faxprojekt bleibt wahrscheinlich eine Zeit lang immer noch eine Skizze für Kommunikation und wird konsequenterweise am besten in den verwandtesten Medien präsentiert: in abgedruckter Form als Protokoll eines - auch visuellen - Gesprächs, als gedanklich erfasster Stoff in den Köpfen, und nicht zuletzt als materieller Papierstapel, wo sich auf matt glänzendem nach außen gewelltem Trägerstoff Zeichen eingefunden haben.
Die meisten Faxprojekte zielen neben der Kommunikation auf eine Realisierung in einer Ausstellung Sie stehen dadurch in mehr als bloß formaler Hinsicht an der Weggabelung. Will man die Faxkommunikation als Skizzenvorgang für künstlerisches Arbeiten schlechthin ansetzen, dann betont der kommunikative Anteil der Faxpapiere un ihr mit protokollarischer Akribie festgehaltener zwischenmenschlicher Prozess einen Umstand besonders; die zu allen Zeiten immer neu umzusetzende Zielvorstellung eines Kunstwerks, in dem sich die künstlerischen Persönlichkeiten, die formale Umsetzung und das Geflecht der Inhalte entsprechen.

Dieser Text erschien in: Connecting things. Herausgegeben von Uta Grundmann. Leipzig 1993.

1Goethes Gedichte. Leipzig (Reclam), S. 119. Es fehlt an dieser Stelle bewusst ein Exurs über echte Zitate und Textnachweise als wissenschaftliches Problem.
2Katalog documenta 9, Kassel 1992, Bd.1 , S.21.
3Joseph Beuys im (unpublizierten) Gespräch mit dem Autor im August 1981.
4Vergleichbar wäre die standardisierte Optik der Desk-Top-Publishing-Briefköpfe, die vielerorts sowohl die von gestandenen Grafikern gestalteten Briefbögen wie auch die amtlich braven Traditionsbriefköpfe abgelöst haben.