Wolfgang Spanier

"Besucher/in" liest man auf einer vielfach ausgelegten Klappkarte auf der Theke des Ausstellungshauses, "Eine Ausstellung in Ausstellungen von Museen und Galerien. Die Öffnungszeiten entsprechen denen des jeweiligen Museums/der jeweiligen Galerie. Die Ausstellungsdauer ist nicht begrenzt. Wolfgang Spanier".


Weiter nichts: überraschend lapidar und schwarz auf weiß kommt die Karte auf den Punkt. Jede/r Besucher/in kann sich in einer Ausstellung befinden. Überall - wer wird das am Anfang schon wirklich überblicken können? Aber er kann und soll diese einfach und präzise gestaltete Klappkarte mitnehmen, überallhin womöglich. Entsteht so immer wieder eine neue Ausstellung - oder sind sich die Situationen einfach ähnlich?

"Das Einfache, das schwer zu machen ist" forderte Berthold Brecht mehrfach in seinen ästhetischen Überlegungen. "Form follows function" formulierten Theoretiker in den sechziger Jahren und machten sich vielfältige Gedanken um die traditionsreiche Wechselbeziehung zwischen künstlerischem Ausdrucksmittel (Medium) und der jeweiligen Botschaft, die das Kunstwerk mit sich trägt. Wenn ein Künstler wie Wolfgang Spanier sich gezielt in dieses Kraftfeld kunsttheoretischer Magnetismen begibt, entsteht mehrfach eine Spannung. Gerät seine Kunst in den Sog der Theorie wie in einen gefährlichen Strudel, und dient am Ende nur als nachgelieferter Beweis für die Richtigkeit der einen oder anderen These? Dreht er die bekanntlicherweise stark wuchernde Theorie so um, daß sie sich gegen sich selbst richtet? Wird der Künstler selbst zum Theoretiker, der in Konkurrenz tritt mit seinen Vor-Denkern? Daß Wolfgang Spanier nachdenkt, wird dem Betrachter und Mit-Macher seiner Werke, Aktionen und Situationen rasch klar.

Allerspätestens wenn dieser sich selbst als Gegenstand von Spaniers Reflexion wiederfindet, entpuppt sich das Verhältnis zwischen Künstler, Werk und Betrachter geradezu als Fundgrube für Beobachtungen, Aktionen und sinnhaften Feststellungen. Bei all dem bewahrt ein charmant-trockener Humor die Arbeiten davor, hier zum harten Vollstrecker von hintergründiger (Kunst-)Theorie zu werden. Wolfgang Spanier läßt es nicht dabei bewenden, lediglich elegante Gedankenschleifen durch das Betriebssystem Kunst zu ziehen.

"Missing the bus" fand - als Galerieausstellung 1997 im belgischen Tongeren simulierend vorbereitet - 1998 im Rahmen der Ausstellung "Makeup Maastricht" statt. Wie Werbung präsentiert, fanden die Benutzer des öffentlichen Nahverkehrs eine Aufforderung vor: an die Bushaltestelle zu gehen und wenn der Bus kommt, ihn nicht zu betreten, sondern weiterfahren zu lassen. Solcherart über Poster und Handzettel animiert, sah sich die Bevölkerung von Maastricht in der Rolle des Kunstaktionisten wieder, der durch eine weitgehend banale Einzelhandlung ein Stück Konzeptkunst mitvollziehen kann. Aber die Aktion machte auch ohne den kunsttheoretischen Überbau Sinn: vielleicht reicht es dem Einzelnen auch einfach, den eigenen Alltag einmal zu entschleunigen, etwas zu tun, was so nie vorgesehen ist - oder sich schlicht über den ungewöhnlichen Vorschlag zu amüsieren, der ja auch einfach eine ausgefallene Werbung sein kann.

Zurückgekehrt in den Bereich der Kunst, signiert, aufgelegt und gerahmt baut Wolfgang Spaniers Künstlerplakat Spannung in genau die andere Richtung auf: die bunte Atmosphäre lachender Mädchen hebt sich neben den Bildwelten anderer Kunst recht deutlich ab. Zeit, den Bus zu verpassen?

Johannes Stahl, 8/2000

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