Kristina Solomoukha

Die Metapher, dass Städte sich wie natürliche Vorgänge entwickeln, ist so traditionell wie verfänglich. Selbstverständlich leuchtet es der menschlichen Vorstellungskraft eher ein, daß eine aus mehr oder weniger sozialen Regeln geformte Stadtarchitektur "in der Natur" des Menschen liege. Andererseits weiß man, daß eben diese Beschaffenheit der menschlichen Natur höchst umstritten ist. Kaum ein Wunder also, wenn Städte einmal wie Maschinen aussehen, einmal wie aus der Natur bekannte Formen - und dann wieder, als ob jeglicher Ordnungsbegriff an ihnen vorbeigegangen sei. Im Hintergrund solcher Fragestellungen stehen jene "Wachstums"-Prozesse, die zu Gebautem führen, und nicht zuletzt die gestalterische Seite dieser Vorgänge.

Auf verführerisch einfache Art macht sich Kristina Solumoukha an diesen Bildwelten und den Konzepten von Architektur und Städtebau zu schaffen. Aus Schullinealen entstehen Hochhäuser, die einmal als gigantische Vitrinen des Fortschritts gefeiert wurden. Mit ein wenig Pappe und Farbe gefertigt, treten weitere Miniatur-Architekturen hinzu, welche die mitunter schon gewagten Konglomerate der Postmoderne um einiges überbieten. Alles das arrangiert sie wie den Entwurf einer utopischen Stadt auf einem mintgrün gestrichenen Sockel. Und dieser hält recht genau die Balance zwischen der angedeuteten Natürlichkeit einer beplanten Freifläche und dem aus dem Ausstellungswesen bekannten Sockel, der die Aufgabe hat, ein paar Kleinplastiken zu versammeln. "Gegebenheiten - Skizze einer Methode" - mit diesem Titelbild leitet sich ein Bogen projezierter Dias ein. Sie geben sich wie das Offenlegen eines Entwurfsprozesses und verbinden sich so mit Zeichnungen, Polaroids und Papiermodellen, die Kristina
Solomoukha auf der Wand befestigt hat. Zur konkreten oder gar baubaren architektonischen Form scheint die Künstlerin jedoch nicht zu streben. Eher interessieren sie die Anmutungsqualitäten der gebauten Umwelt, mehr noch wahrscheinlich jene Bausätze, die noch nicht einmal als Entwurf gedacht waren. Ihre Kunst forscht an deren Hintergründen: den gestalterischen Ideen, den entwerferischen Vorgehensweisen, den zugrundeliegenden Anschauungsfeldern. "Themenpark" heißt ihre gesamte Installation vielsagend.

Trotz aller dieser wechselseitigen Bezüglichkeit innerhalb der einzelnen Elemente lohnt ein Blick in die Details. Ein in diese Installation integriertes zeichnerisches Blatt wie "SUM maisure de masse" beispielsweise zeigt eine verhältnismäßig gleichmäßige Struktur, wie sie ein Stadtgrundriß einer Metropole aufweist. Als Ausschnitt bietet die Zeichnung ihrem Betrachter eine bequem erhöhte Perspektive, die sogar Einblicke in das Innenleben der Struktur zulässt. Mit einem Mal aber versagen sich dem Blick die Analogien zum bereits Gesehenen. Kann es wirklich sein, daß die Straßen auf den Dächern der dichten Blockbebauung verlaufen?

Oder hat man nur Gebäude an Gebäude gebaut und dabei jede Verkehrsfläche außer den Innenhöfen vergessen? Handelt es sich um eine Veranschaulichung nur der Verbindungswege, welche deshalb die Straßenzüge dreidimensional in die Höhe wachsen lässt und die Gebäude dabei völlig außer acht lässt? Das Wortspiel im Titel ist vielsagend: aus dem architektonisch geläufigen Baumassenplan (Mesure de masse) ist in Anklang an das Wort "Maison" ein Begriff entstanden, den das Wörterbuch bislang noch
nicht hergibt.

Sieht man am Ende vielleicht gar doch etwas ganz anderes; die zeichnerische Umsetzung einer Struktur von Rippen eines Blattes etwa? Wahrscheinlich ist Kristina Solomoukhas "Themenpark" ein noch sehr viel größeres Gebilde, als man zunächst anzunehmen vorhatte.

Johannes Stahl, 11/03

zurück zum
Inhaltsverzeichnis