Susan Silverstein

Die seit einiger Zeit in Bonn ansässige New Yorker Künstlerin Susan Silverstein hat sich seit ihren Studien wiederholt mit Architektur und Umrissen beschäftigt. Dabei stehen nicht die konstruktiven Elemente oder die traditionelle Ansichtsseite von Architektur im Mittelpunkt, sondern die Erscheinungsbilder, die Gebäude im Zuge ihrer Demontage zeigen. Ihre Bilder offenbaren Formen, die die traditionellen Darstellungen von Architektur zu einer völlig anderen Bildwelt führen: die durch den Abriss entstehenden Formen prägen das Bild, seinen Aufbau und seine Details.

Architekturdarstellungen finden meist zweidimensional statt. Für die ihre Vorgangsweise sorgfältig überdenkende Künstlerin liegt es auf der Hand, daß ihre Arbeitsmittel der Herkunft aus der Architektur entsprechen müssen. Klassische Entwurfsmittel der Bauplanung sind nach wie vor Papier, Bleistift und Tusche. In Konsequenz aus dieser eher technischen Überlegung macht sie nebem den Raum das Zeichenpapier zu ihrem künstlerischen Thema.

Papier wird geschöpft, das heißt mi t einer Art flachem Sieb aus einem Gemisch aus Fasern, Wasser und Bindemittel abgeschöpft und getrocknet. Susan Silverstein geht diesem Herstellungsprozeß mit eigenen Arbeitsmitteln nach: ihre Stickbilder entstehen, die eine vorhandene und aus einzelnen Fasern bestehende Papierstruktur mit textilen Fasern bearbeitet.

Stickbilder gibt es schon sehr lange. Gobelins etwa setzen die Sticktechnik ein, um intensivere Farben oder eine besondere räumliche Wirkung zu erzielen. Susan Silversteins Bilder machen dies zum Thema. Was bedeutet ein Raum, den man auf einem Blatt Papier darstellt? An welcher Stelle im Bild wirkt ein einzelner Faden als Strich, wo verdichten sich diese Striche zu einer flächigen Wirkung, ab wann wird der Strich-Faden zu einem kleinen Ereignis, das in die dritte Dimension weist? Welche Rolle spielt die Farbe für diesen Prozeß? Mit sparsamen Mitteln verstärken und veranschaulichen die Bilder eine Wirkung, die gleichermaßen vom verwendeten Material ausgeht wie vom Interesse für Raum.

Die Artothek im Bonner Kunstverein verfügt über eine Stickarbeit der Künstlerin. "Sewn Schwarz" (Gesticktes Schwarz) überzieht einen Zeichenkarton mit stark strukturierter Oberfläche durch kurze gestickte Fadenlinien. Obwohl diese sich nirgendwo im Bild berühren, entsteht ein netzartiger Eindruck. Zur Bildmitte hin verdichten sich die gleichmäßig, aber nicht systematisch verteilten schwarzen Fäden um ein dünner besticktes großes Quadrat. In diesem fensterartigen Ausschnitt setzen sich mitunter farbige Fäden auf jeweils engem Raum zu hornartigen Formen zusammen. "Sewn Schwarz" setzt auf prägnante Weise Susan Silversteins künstlerische Überlegungen und Erfahrungen ins Werk um und läßt den Betrachter an diesem Prozeß teilhaben.

Johannes Stahl, 9/92

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