Petra Siering

Die Form und ihre Spannungen - in diesem Feld ist die künstlerische Arbeit von Petra Siering verankert. Zunächst einmal mag diese Feststellung lapidar klingen: Formprobleme stellen sich jedem bildenden Künstler, ob Bildhauer, Maler oder Zeichner - sämtlich Arbeitsgebiete, zu denen Petra Sierings Werk eigenständige Beiträge in die Diskussion bringt. Allerdings stellen sich Künstler sehr unterschiedlich zur Frage nach der Form eines Materials, dem Verhältnis, welches eine Figur zum Raum hat, oder der Eigengesetzlichkeit der Materialfarbe sehr unterschiedlich. Ein weitgefächertes Spektrum an Lösungen wurde und wird gefunden, das zwischen der rein theoretischen Reflektion der Grundlagen von Kunst und dem charmant inszenierten Augenschmaus angesiedelt ist.

Petra Sierings Arbeit nimmt innerhalb dieses Spektrums eine eher grundsätzliche Position ein. Das Material, mit dem sie malt oder aus dem sie ihre Skulpturen entstehen läßt, ist ein wesentlicher Bestandteil der Frage nach der konkreten Form, die dabei ensteht. Nicht selten entstehen Wechselwirkungen zwischen der Form, die ein Marmorblock beispielweise "von Natur aus" hat, und der bildhauerischen Verarbeitung durch die Künstlerin. Auch andere Beschaffenheiten, seien es das Gewicht eines Marmorblocks oder sein eigentümliches Spiel mit dem Licht, geben einen wesentlichen Impuls ab für die künstlerische Reflektion und Umformung ihres Materials.

Material und Form sind jedoch kein Selbstzweck, sondern werden zum Handlungsträger, deren Dramatik Petra Siering ungekünstelt in Gestalt bringt. Auseinandersetzungen der einzelnen Elemente und Gestaltungsformen ergeben sich: Marmorblöcke lasten auf stählernen Konstruktionen, markieren Kräfte im Raum, die Volumen beschreiben, begrenzen, umspielen und in Frage stellen. Mit dem Spachtel, der Walze oder dem Pinsel ins Bild gebrachte Flächen stehen in einem spannungsvollen Wechselspiel zwischen dem Zudecken des Bildträgers und seiner Offenlegung, mitunter auch zwischen der materiellen Eigengesetzlichkeit einer erdhaften Farbgebung und ihrer Aussage als Gebilde aus Form und Farbe.

Alles dieses geschieht zwar in den Bildern und Skulpturen der Petra Siering, beschränkt sich jedoch selten allein auf das Bild selbst, sondern nimmt häufig genug Besitz vom Raum, in der sich die Arbeiten aufhalten. Die in der Form zwar konkrete, ihrer figürlichen Aussage jedoch sehr offenen Flächen, Linien und Körper machen bewußt, wie sich ein Raum oder ein Bild aufbaut.

Johannes Stahl, 6/94

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