Gabriele Rothemann

Die Werke der in Düsseldorf lebenden Gabriele Rothemann legen sich sehr genau fest: auf die Schwarz-Weiß-Fotografie als ein vergleichsweise "objektives" Medium, auf stark reduzierte Formen. Die Flecken eines Kuhfells beispielsweise geben den Ausgangspunkt ab für eine Serie von Fotografien, die zwar an deren Aussehen unmanipuliert und penibel genau festhalten, aber weiter nichts als gerade diese Fellflecken in Schwarz auf dem weißen Fotopapier erscheinen lassen.

Auf diese Weise entsteht ein merkwürdig gespaltener Eindruck. Zunächst handelt es sich um eine Abbildung aus einer alltäglichen Welt, die einen unscheinbaren Ausschnitt vergrößert, aus dem Zusammenhang reißt und daraus eine den Blick schärfende optische Größe macht. Dieses Verfahren kennt bereits eine durchaus langlebige fotografische Tradition. Andererseits spitzt Gabriele Rothemann den Vorgang sehr bewußt zu. Das Weiß der die Fellflecken umgebenden Fläche weist keine Fellstruktur auf. Was auch immer ein Betrachter dort als Fellfläche annehmen muß, entsteht in seinem eigenen Kopf. Zu sehen ist nur eine weiße Fläche aus Fotopapier. Wer auch immer diese Arbeiten ansieht, ist auf sich selbst angewiesen und auf die formalen Mittel, die die Künstlerin sehr knapp einsetzt. Angesichts einer solchen Umgangsweise mit der Wahrnehmung und dem Wahrnehmbaren liegt es nahe, daß Gabriele Rothemann in der Regel sehr genaue Vorgaben für den Rahmen und die räumliche Anbringung der Arbeiten gibt. Der Rahmen ist gerade deshalb hier ein bedeutungsvolles Element des Bildes, weil er traditionellerweise die Realität im Bild von der Realität außerhalb trennt. Auch die Möglichkeiten zu Fern- und Nahsicht beeinflussen die Wahrnehmungsvorgänge: von Nahem kann man überprüfen, daß tatsächlich ein Fell aufgenommen wurde, aber erst aus der Distanz erscheint es möglich, Mutmaßungen über das Tier anzustellen, dem dieses Fell gehört.

Mit der unbetitelten Lithographie aus dem Jahr 1991 besitzt die Artothek im Bonner Kunstverein ein gedrucktes Unikat, das während eines Studienaufenthalts in den USA als Probedruck für eine geplante Auflage entstand. Wieder ergibt sich eine für die Arbeiten von Gabriele Rothemann eigentümliche Wechselwirkung zwischen schwarzem, präzisem Lineament und einer großen weißen Fläche. Zu sehen ist eine Struktur aus Linien, deren gebogene Bahnen zu einem Knotenpunkt oberhalb der Bildmitte einführen. Diese halbrunde kleine Fläche setzt sich nach oben hin als einzelne spitze Form fort und bildet als einzige einen Umriß. Was zunächst oben als Bahnen bezeichnet wurde, setzt sich bei näherem Hinsehen aus kleinen, einander paarweise zugeordneten U-Formen zusammen. Zwischen ihnen wiederum gibt es einen regelmäßig wiederkehrenden Abstand, so daß nicht nur die oben erwähnte
Richtung zum Knotenpunkt hin entsteht, sondern auch quer dazu breitere Öffnungen.

Insgesamt zeigen die Linien auf dem weißen Papier ein stark organisiertes Gebilde, das sich nicht ohne weiteres mit einem wirklich existierenden Gegenstand identifizieren läßt. Mit der formalen Präzision dieser Lithographie erzeugt Gabriele Rothemann paradoxerweise Offenheit für das Allgemeingültige, in dem berechenbare Proportionen von Maß und Za hl ebenso eine Rolle spielen können wie der Zufall, kulturelle Setzungen (beispielsweise die Ver- oder Entsorgung einer Stadt) ebenso wie jene grundnatürlichen Vorgänge, die das Leben einer Pflanze bestimmen.

Johannes Stahl, 4/96

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