Sigrid Lange

Hasidische Juden leben seit längerem im New Yorker Stadtteil Williamsburg, vor allem, seit diese Verfechter eines streng gläubigen und orthodoxen Judentums den grausamen Verfolgungen des Dritten Reichs entfliehen konnten. Dieses typische Arbeiterviertel hat sich seit den 1940er Jahren gefüllt mit ärmeren Zuwanderern aus Osteuropa, aber auch anderer Herkunft: neben der Hasiden haben sich vor allem Puertoricaner angesiedelt. Auch wenn sich heute das Viertel durch den Zuzug zahlreicher gesellschaftlicher Trendgruppen wie beispielsweise Künstlern schon gewandelt hat, kommt es immer wieder zu Konflikten mit ethnischen Hintergründen.

Sigrid Lange ist eine Künstlerin, deren Arbeiten sich schon seit langem mit dem Neben- und Miteinander von Menschen beschäftigt. Ob es um das digitale Einmontieren oder halbe Auslöschen von Spaziergängern auf weitläufigen rheinischen Freizeitwegen geht, um die Installation eines halbdurchlässigen Spiegels auf Toiletten eines Kulturorts, die oder die vorübergehende Inbetriebnahme eines "Lichtund Luftbads" auf dem Oberdeck eines Parkhauses in Pulheim: soziale Strategien und ein wacher Blick für die formale Seite von Nachbarschaft prägt ihre Arbeiten.

Ein längerer Aufenthalt in Brooklyn hat Sigrid Lange recht nah an die Aufladung solcher ethnischer Konflikte herangebracht. Der sorgfältig registrierenden Wachheit Langes ist auch die deutliche Abschottung der Hasiden nicht entgangen. Auch die weit verbreiteten Vorurteile dieser Religionsgruppe gegenüber, der man sektiererische Eigenschaften ebenso vorwirft wie eine sehr schwache Stellung der Frau, werden Sigrid Lange kaum verborgen geblieben sein. Dass die Häuser der Hasiden tatsächlich durch grosse Gittertüren besonders gesichert sind, würde schliesslich selbst in No Go Areas von New York auffallen.

Langes Umgang mit dieser eigentümlichen Situation ist bezeichnend. Ein Foto zeigt den ansonsten menschenleeren Strassenzug in der Metropole: sachliche und nicht eben reiche Mietshausreihen aus dem charakteristischen "Brownstone". Erst eine weiterer Blick lässt stutzen. Nicht nur die Eingänge dieser Häuser sind mit einer Zauntür versperrt, auch der Weg davor in den Boden hinein scheint durch einen ebensolchen Zaun unmöglich gemacht. Die zunächst beiläufig aufgenommene Situation bekommt eine Aufladung, die kaum noch als Realität hingenommen werden kann. Ist dieses Foto nun manipuliert oder ist die Wirklichkeit, von der es ausgeht, selbst schon jenseits der Grenzwerte?

"Hasidic Escapes" scheinen eine besondere Form von Sicherheit zu meinen, die weitaus mehr beinhalten kann als eine ethnisch bedingte Besonderheit in der Vielvölkerstadt New York. Es geht um ein gleichermaßen gedankliches wie soziales Grundproblem und seine Formulierungen: jene ausweglose Situationen, in der (Flucht-)Türen und Einlässe immer auch gleichzeitig wieder Zäune sind.

Johannes Stahl, 12/04

zurück zum
Inhaltsverzeichnis