Graw/Böckler

Neu: jetzt ändert sich wirklich was! Eine Bildkünstlerin arbeitet sich gemeinsam mit ihrem Freund in die Jugend- und Medienbranche ein, lernt die dort geltenden Regeln kennen, wirft sie alle über den Haufen - und hat richtig Erfolg! Nebenbei stellt sie unter Beweis, daß künstlerisch Tätige die eigentlich Kreativen in der Gesellschaft sind - und pikanterweise auch, daß der Kunstbetrieb da mitunter eine hindernde Rolle spielt: "Meine Kunstallergie wird immer schlimmer".

Mit ihrem Projekt "Generation Uscha" pflügt das Künstlerduo Graw/Böckler (bestehend aus Georg Graw und Ursula Böckler) einen besonderen Acker: Jugendliche und ihre rasch wechselnden Moden, Trends und Kulturen sind seit Jahrzehnten gesellschaftlich bestimmend - und dabei immer mehr auch zu einem zentralen Marktfaktor geworden. Angesichts dieser politisch schweren Gewichte überrascht die Einfachheit des Vorgehens: Graw/Böckler sammeln Bilder aus den Fotoalben der jetzt unter dreißigjährigen. Aus diesem Material stellen sie Bilderbögen her, die, wie auf eine Pinnwand angeordnet, jeweils um eine Person kreisen. Graw/Böckler nennen jedoch keine Namen, sondern lassen die Bilder zur Person werden. Aus der Abfolge der einzelnen Bilderbögen ergibt sich die "Generation Uscha", eine rein optische Charakterisierung einer Generation, die sehr viel Wert auf ihr Aussehen legt, einer Nabelschau nicht abgeneigt ist und Spaß an bewußt gelebten Rollenspielen hat. Die Namensgeberin "Uscha" macht Mode und ist seit längerem mit Ursula Böckler und Georg Graw befreundet, die wiederum fotografisch Arbeit, Alltag und Freizeit der Modistin begleiten und dieses Projekt in Buchform veröffentlicht haben.

"Generation Uscha" scheint ein gewachsenes und erlebtes Projekt zu sein, nicht in erster Linie mit empirischem Kalkül ausgedacht. Fast stand zu vermuten, daß Graw/Böckler anschließend einen Musikclip drehen. Durchaus branchenüblich arbeiten sie dabei mit Filmmaterial, allerdings nur mit dem weniger professionellen 16mm-Format. Eine obskure Geschichte um eine Nacktmaus in einer halb ortlosen Feriengesellschaft geht offen aus. Recht dramatisch und schnell ist dabei die Szenerie: Liebe, Angst, Freude und Gewalt sind wie immer inbegriffen. Entscheidend ist der Fluß des Ganzen, nicht eine wie auch immer verbalisierbare Aussage. Konsequenterweise setzen Graw/Böckler in der Anfangsphase der Vorführung anderes Musikmaterial ein als den später gemeinsam mit dem Kölner Elektronik-Duo Donna Regina fertiggestellten Erfolgssound mit dem Titel "why". Und bei aller arbeitsteiligen Planung wirkt das Video authentisch: nicht als Werk eines festgelegten künstlerischen Individuums, sondern von der Wirkung her und der Zielgruppe her gedacht und auf diese Weise authentisch. So entstehen jeweils sehr unterschiedliche Betrachtungsweisen: aus dem Kunstraum heraus wirkt das Ganze wie die Hybridzüchtung eines Musikclips, der interessante Fragen nach dem wie und warum aufwirft, im Musikkanal findet ein Ereignis statt, dessen emotionale Form - nicht zuletzt wegen der Musik überzeugt: "why".

"Generation Uscha", "Nacktmaus" oder später "Siehe Europa", ein Videoband, das schlaglichtartig verschiedene Jugendliche in Europa begleitet und asl Auftragsarbeit entstand: alle diese Projekte erzeugen ein kurzes direktes und irgendwie bekanntes Bild von etwas, das sich im Zusammenhang als weitaus komplexer herausstellt als es die Bilder zunächst vermuten lassen. Dabei bleibt nahezu jedesmal offen, wie Graw/Böckler immer wieder zu ihrer frappierenden Stimmigkeit kommen. Glücklicherweise kann man das nicht erklären.

Johanes Stahl 6/2000

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