Renate Brandt

Klare Verhältnisse sind den Arbeiten Renate Brandts zu eigen: ausschließlich im Medium Fotografie angelegt, beschreiten sie sowohl in der technischen Form und als auch in der inhaltlichen Anlage eher traditionelle Wege. Dennoch kommen diese stillen Arbeiten bei einer unverwechselbar eigenen Position an. Mehr noch, mit jedem weiteren Blick offenbaren ihre Bilder einen größeren Reichtum an Facetten. Im zweiten Blick bricht die Fotografie Renate Brandts mit dem Gewohnten. Dabei sind es nicht einmal jene Gegenstände, die ungewohnt sind. Im Gegenteil, geradezu Alltägliches hat sie ins Bild gesetzt: eine Zimmerpflanze, Hände, Möbel, Strukturen, Lampen. Häuslich sieht das oftmals aus, in Gebrauch befindlich. Erst allmählich macht sich die lakonische Intensität bemerkbar, mit der die Fotos zu Werk gehen. Sehr genau gesetzt sind die Ausschnitte, bei aller Offenheit ein wenig abgeschlossen. Wenn da eine Lebenswelt festgehalten wird, dann ist das keineswegs die des Betrachters; soviel wird auf Anhieb klar.

Renate Brandt inszeniert ihre Fotos. Ohne großen technischen Aufwand schafft sie bildliche Voraussetzungen, die jedes ihrer Fotos zur Szene oder besser zum "tableau vivant" werden lassen. Diese Bildform war vor allem im
Barock populär. Lebende Menschen inszenierten ein (meistens berühmtes) Bild. Sorgfältig in einem genauestens vorbereiteten oder zumindest wahrgenommenen Bildraum arrangiert, verharren die teilnehmenden Personen für einen kurzen Moment als ein stehendes Bild. Die Fotografie ermöglicht Renate Brandt, einen sich ähnlich bietenden Augenblick festzuhalten. Weit mehr aber als das Gesellschaftsspiel überführt die Fotografin das Geschehen wieder in die ursprüngliche Vision eines Bildes. "Ich will eigentlich immer ein Bild machen", sagt die Künstlerin. Und dabei ist es egal, ob das zu fotografischen Genres wie Porträt, Stilleben, Sach- oder Sozialfotografie tendiert.

Jedes Bild entwickelt heute ein Verhältnis zu klassischen Fragen des Bildaufbaus. Symmetrie, Gewichtung der Bildpartien, Farbwerte, Oberfläche, die Anzahl und das Wechselspiel der Motive und Räume. Auch wenn die Fotos Renate Brandts sich durchaus in diese historisch gewachsenen Bildüberlegungen mit eigenen weiterführenden Ergebnissen einschreiben, bleibt die strukturelle Offenheit des einzelnen Bildes für die Fotografin offensichtlich wichtiger als der direkte Bezug zu den weitläufigeren oder spezielleren Traditionen von Foto oder Tafelbild. Bei alledem kommt Renate Brandt mit wenig Personal aus. Meist reicht eine einzige Gestalt im Bild, um ein Geschehnis in fotografische Form zu bringen, denn der Raum, in dem sich das alles vollzieht, besteht aus weitaus mehr als nur aus Staffage-Requisiten. Ein Stuhl, ein Tisch, eine Bank oder eine Lampe werden hier zu aufgeladenen Bedeutungsträgern: ein Stuhl ist das Paßstück zum menschlichen Körper, ein Tisch ist ein Abbild des gesamten Blickfelds, ein Heizkörper oder eine Bank wird zum andeutungsweise erotischen Partner, eine Stehlampe zur möglichen Skulptur. Auf diese Weise lädt sich eine Atmosphäre auf, die in entscheidender Weise von der Ausstrahlung dieser wichtigen Details lebt.

Auch wenn die Fotos den Namen der mitspielenden Personen tragen, handelt es sich kaum um Porträts in klassischer Hinsicht. Eher ist der jeweils dargestellte Mensch der Ausgangspunkt für die verdichtete Darstellung von einer Aura, die diesen Menschen ausmacht, jenseits seiner bekannten Physiognomie, seiner typischen Kleidung und über die Dokumentation seiner normalen Umgebung hinaus. Oft sind diese Personen nicht einmal individuell erkennbar. Das allzu Zuordbare würde der fotografischen Arbeit viel von ihrer besonderen Tragweite nehmen und ins klassische Fahrwasser der Abbildungsfotografie leiten. Es geht gerade nicht um den materiellen oder menschlichen Markenartikel, sondern um die Wirkung jener subtilen Nebenrollen, die Tapeten, Schuhwerk oder Fenstergriffe spielen.

Renate Brandts Fotografie hat eine Tendenz zum kontrolliert Erzählerischen hin. Die eigene häusliche Umgebung mit allen genau wahrgenommenen Elementen, das Leben eines ebenso bekannten wie schwer bildlich greifbaren Giacomo Casanova oder eine Art Tagebuch der eigenen Aufenthaltsorte: die im einzelnen Bild ohnehin schon verdichtete Anschauungswelt verzweigt und verwebt sich in den fotografischen Zyklen zu aufgeladenen Geschichten. Anders als im Fotoroman jedoch behält jedes einzelne Bild seine eigene Wirkung - und dennoch ist die gesamte Wirkung weitaus mehr als die Summe der einzelnen Elemente. Nicht immer ergibt sich ein verbindlicher Erzählstrang. Die Bilder reihen sich zu je sehr eigenen und unterschiedlichen Wechselwirkungen - je nach Anordnung in der Ausstellung oder den Wegen, die der Betrachter zu den Bildern nimmt. Bei aller Abgeschlossenheit der sorgfältig komponierten Fotos, bei aller stillgelegten Bewegung in ihnen fordern die Arbeiten Renate Brandts ihren Betrachtern somit doch einiges ab. Sie geben erst nach und nach etwas von ihren offensichtlichen Geheimnissen preis, und das auch nur dann, wenn man über seine eigenen festliegenden Erwartungen gegenüber Fotos nachdenkt, wenn man die doch so offensichtlichen wenigen Requisiten und Personen eine Weile in der eigenen Wahrnehmung agieren läßt, wenn man ihnen gedanklich den Freiraum gibt, den sie in den Bildern schon längst haben.

Johannes Stahl 1/2005

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