Hee Seon Kim

Ein leerer Raum, Regale, Tische, genau wie Millionen solcher Räume weltweit. Funktionszimmer können vieles: Besprechungen Raum geben, Bücher und Akten beherbergen, oder einfach nur Ersatzraum und -fläche bereithalten. In den seltensten Fällen jedoch können sie eine heimelige Atmosphäre geben. Zum Essen, Schlafen oder Feiern werden sie nur im Ausnahmefall genutzt, arbeitsbedingt eben.

Langsam füllt sich der Raum mit Büchern, ohne daß man bemerkt wie. Die Bücher haben jeweils ein Etikett auf dem Rücken: es muß sich um einen Büchereiraum handeln. Buch für Buch kommt hinzu, und zuletzt hat sich eine überbordende Fülle an Druckwerken ergeben. Tische und Stühle sind derart zugesetzt, daß auch der Eindruck einer schlecht aufgeräumten Bücherei bei der Inventur nicht ausreicht, um das Ergebnis zu beschreiben. Aber ebenso allmählich wie diese Überfülle sich ergeben hat, baut sie sich auch wieder ab. Zurück bleibt der gleiche Raum, von dem aus die Entwicklung ihren Lauf nahm. Der Vorgang wiederholt sich, diesmal schneller, ein weiteres mal noch schneller, immer wieder.

Hee Seon Kim hat sich in ihrer künstlerischen Arbeit immer wieder speziell mit den menschlichen Lebensumständen beschäftigt, wie sie solche Räume schaffen: indifferent meist, funktionell, „zeitlos“, wie es eine entsprechende Werbesprache formulieren würde. Daß aber mit diesen Eigenschaften von Räumen Formen verbunden sind, beschäftigt die Künstlerin. In jeweils speziell ansetzender Weise schafft Hee Seon Kim Veränderungen dieser Orte und legt dabei Aspekte offen, die unter dem üblichen Vorrang der Nützlichkeit kaum je ein Thema wären.

Einen besonderen Aspekt in ihren Werken nimmt der Begriff des Alltags ein. Welche Wege Menschen zu ihrer Arbeit zurücklegen, und wie sie dabei wie Figuren eines vorherbestimmten Spiels vorwärts rücken, bis sie den Umkleideraum erreichen und anschließend in spezifischer Bekleidung ihrer Tätigkeit nachgehen, setzt ein Band von ihr in eigenwillig stilisierter Weise um.

Eine groß angelegte Installation im Bonner Kunstverein 1997 thematisiert ihre eigene Entstehung sowie den Raum, in dem sie stattfindet. Wie der Zeiger einer Uhr fünfminutenweise vorrückt, so hat sie mittels einer speziellen Kameraeinstellung die kleine Halle in Intervallen kreisend aufgenommen. Die Diaprojektion im gleichen Raum brachte das Bild und die zeitgebundene Drehbewegung im Zusammenhang der Ausstellung zurück.

Kims Arbeiten handeln alle von der Wahrnehmung von Abläufen und den Grenzen eben dieser Wahrnehmung. Ob es die Fülle der Bücher einer Bibliothek ist, die individuell unterschiedlichen Wege zum Arbeitsplatz oder die zeitliche Entwicklung eines Raums zu seiner „fertigen“ Gestaltung: wieviel kann man sehen, wieviel davon wahrnehmen? Was kann man behalten? Und vor allem: wieviel sollte man behalten?

Johannes Stahl, 6/2001

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