Hermann Glöckner

Mit seltener Konsequenz vollzog sich die Entwicklung eines der wichtigsten Vertreter der konkreten Kunst in Deutschland. Hermann Glöckner, der 1889 geborene Dresdner, kam über ein klassisches Feld der "angewandten" Kunst zu seiner "freien" künstlerischen Beschäftigung mit Geometrie und Konstruktion: der "Musterzeichner" entwarf seit 1904 Textil- und Tapetenmuster und bildete sich in Abendkursen weiter. An der Dresdner Akademie wurde er 1909 zweimal abgewiesen und konnte nicht früher als 1923/24 zwei Semester Kunst studieren. Erst nach dem Krieg kauften als erste öffentliche Einrichtung die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden ein Gemälde des inzwischen 58jährigen an. Mit seiner Konzentration auf die konkrete Kunst blieb Glöckner in der DDR zeitlebens ein - wenn auch mit zunehmenden Alter immer stärker beachteter - Einzelgänger.

Sein von der Leidenschaft für das Geometrische gekennzeichnetes Werk nimmt immer wieder Impulse aus der jeweiligen künstlerischen Umgebung auf. So entstehen in den zwanziger Jahren Akt- und Landschaftsbilder, die neben dem konstruktiven Anliegen auch die neue Sachlichkeit spüren lassen oder die fünfziger Jahre sehen seine geometrischen Bilder mit kurvigen Linien konfrontiert. Auf ähnliche Weise hatte er sich für seine Arbeit immer wieder neue Bereiche erschlossen, ohne bereits bezogene Positionen dabei zu verlassen: Mitte der 30er Jahre die plastischen Arbeiten, zu Beginn der 50er Jahren die Arbeit mit und auf Papier, Ende der 50er Jahren das Arbeiten in Werkgruppen sowie baugebundene Arbeiten.

Eine für seinen sensiblen Umgang mit dem Konstruktiven bezeichnende Besonderheit seines Oeuvres sind die "Faltungen". Als ihm 1969 das Format des Katalogs für seine Ausstellung im Dresdner Kupferstich-Kabinett zu klein war für eine beigelegte Edition, faltete er das Blatt und kam so zu einem völlig neuen Anwendungsfeld für seine geometrischen Kompositionen.

Die Artothek im Bonner Kunstverein besitzt eine seiner letzten Arbeiten, eine - posthum von seinem Drucker ausgeführte - Faltung ohne Titel. In knapper und präziser Form führt sie die wesentlichen Elemente von Glöckners Arbeitsweise vor Augen. Glöckner geht sensibel und auf das Wesentliche ausgerichtet mit dem Material und der verwendeten künstlerischen Technik um. Die Faltung und der Siebdruck - der einzelne Flächen des schwarz durchgefärbten Papiers freihält - lassen die Oberfläche des Materials zur Sprache kommen. Die fast räumlichen Kanten der Faltung und die diagonale Anordnung der Farbflächen betonen das formal Notwendige einer geometrischen Komposition und öffnen eine Welt von elementaren Ausdrucksmitteln.

Johannes Stahl, 11/93

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