Gibbs

Zeitgenossenschaft ist eines der hervorstechenden Elemente in der Arbeit des in Bonn ansässigen Künstlers Gibbs. Seine Zeichnungen, Objekte, Installationen, Aktionen und seine Musik reagieren auf die vielfältigen Einflüsse der täglich stattfindenden Überflutung an Reizen, Informationen, Bildern, Tönen und Gedanken. Zeitgenosse zu sein bedeutet für ihn jedoch nicht nur, all die Schrecklichkeiten und Schönheiten des Informationsalltags zu registrieren und zur Tagesordnung überzugehen. Gibbs reagiert mit seinen künstlerischen Mitteln auf das Tagesgeschehen und gibt den alltäglichen Bildern, Redewendungen und Sachverhalten in überlegten Gestaltungen eine Form, die es weit über den Tag hinaus aktuell machen.

Der Ansatz von Gibbs´ Kunst ist breitgestreut. Die vielfältigen Verschränkungen zwischen Politik, Musik, Bildwelten und Sprache bauen untereinander ein Geflecht von Wechselwirkungen auf, mit dem Gibbs ebenso virtous wie furchtlos umgeht: "Betretene Minen" betitelt er eine Edition, in der er aufs Äußerste reduzierte Geschichter mit heruntergezogenen Mundwinkeln in Lederfett eingezeichnet hat. Diese wiederum befindet sich in Blechdosen, die in ihrer olivgrünen Farbigkeit und der flachen Form in der Tat an echte Minen erinnern: Entsetzen und Lächeln sind gleichermaßen möglich und vorbereitet.

Gibbs selbst benennt Till Eulenspiegel als seinen geistigen Ziehvater und beschäftigt sich seit längerem ausgiebig mit dem Leben dieses norddeutschen Lebenskünstlers und Aktionisten. Aber nicht nur der oft hinterhältige Humor verbindet die beiden. Ein wesentlicher Zug in der Arbeit von Gibbs ist es, der Zeit den Spiegel vorzuhalten: es bedarf gar keiner großen Anstrengung, um das Absurde im Alltag ausfindig zu machen. Das Wörtlichnehmen ist eines jener in der Form einfachen Kunstmittel, mit denen er vielschichtige Wirkungen erzielt, genau wie der große Sohn aus Mölln, und ebenso wie diesem steht ihm ein breites Spektrum zwischen leiser Ironie und bisweilen heftiger Provokation zur Verfügung.

Gerne schöpft Gibbs aus dem reichen Fundus an gebrauchten Bildern. Die kitschigen Klischees der Illustrierten beispielsweise befruchten immer wieder das Nachdenken über Rollen, soziale Zusammenhänge und nicht zuletzt auch die Inszenierungsmittel, mit denen solcherlei Bildgut an die Konsumenten vermittelt wird.

Das in der Artothek im Bonner Kunstverein vorhandene Blatt "Ratte trifft verdorbenen Brei" spielt mit genau diesen Elementen. Eine Ratte, deren goldene Farbe nicht so recht zu ihrem sonst üblichen Ruf passen will, scheint, vor dem Hintergrund einer Tischszene mit einem nett lächelnden Kind und einem Teller mit Suppe zu explodieren: ihr Kopf hat sich vom Rest des Körpers getrennt. Was ursprünglich eine leicht kitschige Werbeszene am trauten heimischen Tisch gewesen sein mag, bekommt in der Verarbeitung durch Gibbs anarchische Sprengkraft. Nimmt man den Titel wörtlich, trifft die Ratte verborbenen Brei und stirbt daran. Aber schon in dieser Geschichte stimmt nichts: nicht nur daß die Ratte eine goldene Farbe hat, sondern auch, daß sie explodiert, und das aufgrund einer so harmlos aussehenden Suppe ...

Johannes Stahl, 1/94

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