(e.) Twin Gabriel

"Gib mir mal die Macht!" sagte der Familienvater am Abend, als seine Frau mit der Fernbedienung des heimischen Fernsehers hantierte. Die kleinen und von Designströmungen nie allzu stark in Mitleidenschaft gezogenen elektronischen Helfer sind vielleicht ein wesentlicherer Umstand des täglichen Lebens, als ihnen ein erster Blick zubilligen würde - über die Tatsache hinaus, daß sie letztlich nicht mehr nur das Verlassen des Hauses, sondern auch das Aufstehen aus dem Fernsehsessel abgeschafft haben. Sie sind Schlüssel und Schleuse für den erheblichen Konsum an elektronischen Bildern, die täglich frei Haus geliefert werden. Wie frei sie ins Haus kommen, darüber mag man ja streiten, aber ein Thema für eine Auseinandersetzung sind sie gewiß, insbesondere für eine bildende Künstlerin.

Die Berliner Künstlerin (e.) Twin Gabriel hat nicht nur diese Fernbedienungen genau in ihren Blick gefasst, sondern deren Gestaltung in ein eigentümliches grafisches Gefüge eingebunden. Es fällt auf, wie hartnäckig diesen ebenso nützlichen wie mächtigen Gegenständen ihre im Titel jeweils genannte Firmenherkunft nachhängt: über die oft aufwendige und werbewirksame Anbringung der Konzernlogos erübrigt sich die Diskussion bei einem Gegenstand, der garantiert mindestens zweimal am Tag intensive Benutzung erfährt. Mit verstärkten Kontrasten wiedergegeben und vergrößert finden sich die Handys des Telekonsums auf Oberflächen wieder und sind selbst mit Oberflächen versetzt, die aus dem breit gefächerten Angebot des Selbstklebefoliendesigns stammen. Deren Spektrum bietet für jeden etwas: kühl, glatt und einfarbig, wie es sich für ein funktionales Leben gehört, dem edlen Bruyèreholz nachempfunden für Wertebewußte oder im Spitzenklöppeldesign für diejenigen, die es etwas gemütlicher lieben.

Gleichwohl bleibt es ein Kunststoff, was da so verschiedene Gestalt annimmt, und bezieht die Fernbedienung in diese Künstlichkeit ein. Gabriels lakonisch mit den Firmen- und Dekornamen betitelte Grafiken sind Zeitzünder nicht nur in ihrer ironischen Wendung zum alltäglichen Einheitstrott im gestalterischen Bereich. Auch als Grafiken bieten die Blätter, die sich rasch unter ihren Rahmen wellen, Zündstoff. Sollte man sie mit ihrer Klebeseite irgendwo aufziehen wollen, bliebe das signierte rückseitige Schutzpapier nutzlos übrig ...

Mit solchen Randbereichen zwischen Kunst und Alltag hat sich (e.) Twin Gabriel immer wieder gern abgegeben. Schon im Verband mit den anderen Auto-Perforations-Artisten Micha Brendel, Reiner Görß, Jörg Herold und Via Lewandowsky war ihr das Klima des Dresdner Mal-Akademismus zu eng geworden. Zunächst hatte noch die öffentlich wenig beachtete Klasse für Bühnenmalerei Freiräume gewährt - keiner schloß jedoch seine Studien als akademischer Bühnenmaler ab. Später versuchten diese Individualisten in immer kompromißloser ausfallenden experimentellen Vorhaben wie "Allez! Arrest" sich der öffentlichen Situation als Künstler auszusetzen. Als Maler hinter Gittern sperrten sie sich eine Woche in der Leipziger Galerie Eigen+Art ein und boten ihre Arbeiten im Tausch gegen Eßbares an - mit der Konsequenz, daß sie hungern würden, wenn das Publikum sie nicht ernährte.

(e.) Twin Gabriel, deren veränderter Name programmatisch sowohl an die enge Zusammenarbeit mit Künstlerkollegen (insbesondere Ulf Wrede) als auch an ihre Fähigkeit, sich selbst zu widersprechen gemahnt, hat insbesondere Kunst-Stoffe immer wieder zu ihrem Thema gemacht. In einer mangels Nachfrage geschlossenen Kofferfabrik stellte sie Kofferschutzecken aus Kunststoff für sich sicher. Diese gefundene Sammlung banaler Gegenstände ordnet sie je nach Raum und Ort ihrer Ausstellungen neu an und versieht sie einzeln mit Fantasienamen, die sie aus veränderten Buchstabenfolgen der realen Namen ihr bekannter Personen zusammensetzt. Der Bestand ist inzwischen gewaltig angewachsen und wächst weiter.

Johannes Stahl, 2/96

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