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Jörg Arendt
Hausbesetzer - Raumbesetzer
Joseph Beuys, Gordon Matta-Clark, Peter Mönnig / John Fekner

Fragestellung: Sind (soziale) Hausbesetzer = (künstlerische) Raumbesetzer = Raumbefreier?

Hausbesetzung als soziale Intervention

Geschichte der Besetzung öffentlicher Räume (Plätze und Gebäude) durch soziale Bewegungen mit dem erklärten Ziel der Schaffung politischer Freiräume für alle - Sozialismus (im Gegensatz zur militärischen Okkupation von Land zwecks Herrschaftssicherung/Imperialismus) Bsp.: - Französische Revolution - Pariser Kommune 1871 / sozialistische Räterepubliken 1917/18 / Generalstreik 1923 / Spanischer Bürgerkrieg 1936 (Barrikadenbau - Demonstrationen - Besetzung von Rathäusern, Schlössern und Fabriken)

1960er und '70er Jahre: Universitäts- und Rathausbesetzungen / erste (Wohn-) Hausbesetzungen und Fortführung der Kommunebewegung der 1920er Jahre / Demonstrationen und Streiks
'80er Jahre: Ritualisierung und Szenebildung in Hausbesetzerkreisen / Aussteigerkommunen auf dem Land / AKW - und Kasernenblockaden der Friedensbewegung / Hüttendörfer und Großdemos
'90er Jahre: Zersplitterung der Hausbesetzerbewegung / öffentlichkeitswirksame Medialisierung der Widerstandsrituale, aber auch anti-mediale Bewegungen / Wieder-Vernetzung durch Internet
Raumbesetzung als emanzipativer Akt der Schaffung und Erhaltung gesellschaftlicher Freiräume
Kunst der HausbesetzerInnen: Wandmalerei, Wand- und Demonstrations-Transparente, Zeitungen

Raumbesetzung als künstlerische Intervention

Geschichte der Erschließung des Raumes in der Kunst der Moderne Kubismus / Konstruktivismus / Bauhaus / AgitProp der Kulturrevolution (später Gegen-/Denkmale)

DaDa / M.Duchamp / L. Fontana / Y.Klein / D.Buren / Christo / Fluxus / Happening & Aktionskunst
Besetzung öffentlicher Räume und Häuser mit künstlerischen Mitteln: z.B. Joseph Beuys (1921 -86): "Soziale Skulptur", Akademiebesetzung / documenta-Büros / Fettecken / Honigpumpe / 7000 Eichen / öffentliche Aktionen in Stadt und Wald
Gordon Matta -Clark (1 943 -78): Performances im Stadtraum / duchschnittene Architektur (z. B. Splitting, Office Baroque, Day's End, Circus ithe Ca hbbean Orange) / Videos
Peter Mönnig (*1955): verschiedene raumbezogene Skulpturen (z.B. Konferenz, Pa Wissenschaft, Konserven-Telephone, Paris sur Seine, A la montagne), Interventionen im Stadtraum mit John Fekner (z. B. Walhalla Berlin 1986)

Künstlerische Strategien zu Erschließung öffentlicher und privater Räume

1) Loslösung vom Materialbegriff durch Überwindung bzw. Durchdringung der Materie
Aufbrechen des Skulpturalen und Zerschneiden bzw. Perforieren der Leinwand zwecks Freilegung des offenen Raumes und Transzendenz zum lmmateriellen
z. B. bei bei Lucio Fontana (Conzetto Spaziale) und Yves Klein (Leinwandverbrennung)


Übertragung dieser Durchdringung des Materials auf Architektur und Stadtraum zwecks Freilegung der sinnlichen Totalität dieser Kunst - Einbeziehung der Gesellschaft in den Prozeß der spirituellen Überwindung von Materie z.B. bei Joseph Beuys (Fettecke - Honigpumpe - 7000 Eichen) und Gordon Matta-Clark (Splitting - Conical Intersect - Circus)


Die individuelle Spiritualität wird durch eine Okkupation des öffentlichen Raumes der Gesellschaft aufgezwungen, sie können nur im Sinne des Küristlers an der."Sozialen Skulptur" teilnehmen. Dieser Wunsch nach Einheit und Spiritualität (=."Sinn") jenseits der materiellen Welt (=Raum) steht nicht nur in der Tradition der romantischen Theosophie, sondern wurde durch den Anthroposophen Rudolf Steiner zum Wegbereiter des spirituell-heidnischen Faschismus. In Grundzügen enthalten viele esoterische Lehren des "New Age" diesen gegenaufklärerischen Wunsch nach Transzendenz.


2) Befreiung von gegebener Architektur durch Dekonstruktion und Vergesellschaftung Markierung von "herrschaftsfreien" Räumen (Graffiti, Wandgemälde) und kritisch-ironische Bezugnahme auf Stadt-/Architektur zwecks Emanzipation des rezipierenden Blickes (z. B. Daniel Buren / Peter Mönnig / John Fekner / Christian Hasucha )


Schaffung von unkontrollierten (illegalen?) Freiräumen zwischen privater und repräsentativer Architektur (Haus- und Universitätsbesetzungen, Wagenburgen, Demonstrationen)


Die materiellen Besitzverhältnisse werden durch illegale Besetzung (künstlerisch oder sozial) in Frage gestellt. Darüber hinaus wird durch die künstlerische Dekonstruktion der Raumvorstellungen die Dominanz der Architektur rational durchbrochen und eine materialistische Betrachtung der verschiedenen Faktoren der Definition von Raum (und Geschichte) erst ermöglicht. Die Gesellschaft wird nicht als "Skulptur" nach der Ideologie des Künstlers geformt, sondem erhält die Möglichkeit der (im Rahmen der Macht des Bestehenden) Schaffung von materiellen und ideologischen Freiräumen.


Diese beiden, hier nur kurz skizzierten, antagonistischen Konzeptionen zur Überwindung der Architektur und des Raumes stehen in einem wesentlich weitläufigeren ideologischen Kontext, als dieser Entwurf es erfassen kann. Als einführende Literatur wurde hierzu verwendet:


Arnheim, Rudolf: Die Macht der Mitte - Eine Kompositionsiehre für die bildenden Künste, Köln 1983
Carnap, M./Mönnig, P.: Kulturlos, Berlin 1988
Fuchs, H./Mönnig, P.: Peter Mönnig - sculptures et envirement, Arnheim/Paris 1989
Geronimo "Feuer und Flamme - Zur Geschichte und Gegenwart der Automomen", Berlin 1990
Harlan, Volker (u.a.) Soziale Plastik - Materialien zu Joseph Beuys ', Achberg 1984
Jacob, Mary-Jane: Gordon Matta-Clark - A Retrospective', Museum of Contemp.Art, Chicago 1985
Loers, Veit / Witzmann, Pia (Hg.) Joseph Beuys - documenta-Arbeit', Kassel 1993
Mer, Marc (u.a.) Translokation - der ver-rückte Ort. Kunst zwischen Architektur, Wien 1994
Kat., Brennpunkt Düsseldorf - Joseph Beuys / Die Akademie Der allgemeine Aufbruch -1962-1987', Kunstmuseum Düsseldorf 1987
Kat. "White Cube - Black Box, EA-Generali-Foundation, Wien 1996


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