Dürer als Unternehmer


Wolfgang Schmid: Dürer als Unternehmer. Kunst, Humanismus und Ökonomie in Nürnberg um 1500. Trier 2003
Rezensiert von Uli Schubert


Im Folgenden soll die Publikation Wolfgang Schmid: Dürer als Unternehmer. Kunst, Humanismus und Ökonomie in Nürnberg um 15001 besprochen werden. Ich selbst habe das Buch im Zusammenhang mit dem Seminar Dürer als... im Wintersemester 2008/09 bei Dr. Johannes Stahl an der Burg Giebichenstein Halle gelesen. Ziel dieses Seminars war es, wie der Titel schon andeutet Albrecht Dürer in seinen verschiedenen Aspekten vorurteilfreier wahrnehmbar zu machen. So ging es neben Dürer als Migrant, Christ oder Erzähler auch um Dürer als Unternehmer.

Was läge da näher, als auf die im 475. Todesjahr Dürers erschienene Publikation von Wolfgang Schmid mit eben diesem Titel zur Recherche zurückzugreifen. Wird hier durch den Titel nicht größtmögliche Information über das ökonomische Leben des Nürnberger Künstlers versprochen. Auch lässt der Untertitel eine detaillierte Einordnung Dürers in den wirtschaftlichen Kontext der Situation um 1500 in Nürnberg vermuten.

Der Autor selbst ist Historiker und schlägt hier einen interdisziplinären Weg ein. Nicht das erste Werk dieser Art für Wolfgang Schmid, wie ein kurzer Blick in die umfangreiche Publikationsliste des Professors aus Trier verrät. So verspricht der Titel, die Qualifikation des Autors als kunstinteressierter Historiker und nicht zuletzt der Umfang von knapp 600 Seiten ohne Anhang wie auch ein beeindruckendes Quellen- und Literaturverzeichnis schwerwiegende wissenschaftliche Erkenntnisse und Argumentationslinien. Wolfgang Schmid will wohl mit dieser Publikation, die Teil seine Habilitation ist, Maßstäbe setzten.


Um Anlässe dazu ist der Autor nicht verlegen, kann er sich doch „des Eindrucks nicht erwehren, dass in den meisten Dürerbüchern zwar viele Bilder abgebildet, aber nur wenige ernsthaft untersucht sind. (p.21) Auch erklärt er, dass der schriftliche Nachlass2 von Rupprich „wohl das einzige Werk im Bereich der Dürerforschung (...), über dessen wissenschaftlichen Wert allgemeiner Konsens besteht“ (p.17) sei. Die Zunft der Kunsthistoriker muss das wohl provozieren, ist Hans Rupprich doch Germanist.


Der Blick in das Inhaltsverzeichnis allerdings verwundert den Leser, der die Erwartung hatte hier vorwiegend über wirtschaftliche Fragen aufgeklärt zu werden. Denn die Überschriften allein stellen keinen engeren Zusammenhang zu unternehmerischen Aspekten Dürers Tätigkeit her.

Schmid beginnt mit einer breit angelegten Einführung in die Zeit, den Raum die Menschen sowie Quellenlage und Forschungsstand. Des Weiteren legt er Konzeption, Disposition und Methodik der Arbeit dar. Auffällig ist eine gewisse Diskrepanz in der rigiden Anlage der Struktur und der essayistischen Erzählweise Schmids, die die innere Stringenz gerne für den einen oder anderen Exkurs aufgibt.

Der inhaltliche Hauptteil ist nach dem evolutionistischen Modell gegliedert. Nacheinander werden Kindheit, Lehr- und Wanderjahre, dann Werkstattgründung und Frühwerk, schließlich Hauptwerk und Spätwerk analysiert. Ein letztes Kapitel fasst die Ergebnisse zusammen.

In den Kapiteln werden jeweils Werke der Schaffensphase vorgestellt. Dabei bleibt der Autor nicht selten bei einer reinen Bildbeschreibung stehen, der wirtschaftliche Aspekt wird nicht immer behandelt. Weiterhin werden biographische Erzählungen eingefügt, die mehr oder weniger auch das unternehmerische Leben Dürers beleuchten. Einen Fokus darauf mag ich allerdings nicht erkennen. In den Zusammenfassungen wird das wirtschaftliche Feld dann doch weniger integriert behandelt. Eine genauere Aufstellung vermisst man aber auch hier. Genaue Bilanzen oder Rechnungen lassen sich wohl auf Grund der Quellenlage nicht rekonstruieren. Immerhin können über Dürers Investitionen in Immobilien, einige Briefwechsel, seine Reisen wie durch den Einsatz der Kolporteure gewisse Rückschlüsse finanzieller Natur gezogen werden. Immerhin, der Briefwechsel mit Heller, der im Text allerdings als Exkurs behandelt wird, oder die Verträge zum kleinen und großen Kardinal sind doch recht aufschlussreich. Was der Leser am Ende sicher weiß, ist dass Dürer als reicher Mann von dieser Erde geschieden ist.


Eine Stärke des Textes liegt darin, dass Schmid das klassische „evolutionistische Modell“ (p.267) um die Kriterien von Marktgängigkeit und Ertragschancen erweitert. Er illustriert diese Erkenntnis mit überzeugenden Zitaten aus dem schriftlichen Nachlass und untersucht auch die Heller-Korrespondenz auf diesen Punkt hin. Ein deutliches Indiz dafür sieht der Autor beispielsweise in der Abkehr von mythologischen Motiven zu Gunsten religiöser Bildinhalte, da diese vom Publikum leichter verstanden wurden und damit höhere Absatzchancen versprachen.

Weiterhin fällt positiv auf, dass Schmid in fast allen Punkten die Primärquellen zu Rate zu ziehen versucht. Dabei ist es zuweilen gleichsam interessant wie amüsant, wie er hier und da über die Interpretation der Texte hinausgeht und eine spekulative Genredarstellung von Dürers sozialem Umfeld unternimmt. Ähnlich zu bewerten ist die für einen Text, der mit solch wissenschaftlichem Anspruch auftritt, zum Teil so flapsige Sprache. Sie verführte den Autor zu Vermutungen über den besonderen „Pfiff“ der Holzschnitte Dürers, dessen „Flitterwochen“ oder gemütliche Abendstunden bei Wohlgemuth, Kohberger und Pirkheimer. Diese populärwissenschaftliche Attitüde tragen allerdings zur Lesbarkeit des Textes nicht unerheblich bei.


Trotzdem bleibt der Text hinter den Erwartungen zurück. Denn der Autor verpasst es bei der breiten Anlage der Untersuchung auf den eigentlichen Gegenstand, das wirtschaftliche Moment, im Detail einzugehen und verpasst es einen ökonomischen Überblick zu schaffen.

Dazu hätte man sich zum Beispiel die Darlegung von Stundenlöhnen, Geldwerten, Arbeitszeiten aber auch die Einordnung von Ertrag und Investitionskosten gewünscht. Zwar gibt der Autor mit dem Jahreslohn eines Handwerksmeisters eine nachvollziehbare Vergleichsgröße an, dass dies aber die einzige Referenz bleibt kann bei dem wissenschaftlichen Anspruch, den der Historiker zu Beginn stellt schon verwundern. Gleichzeitig ist der Leser mit dem Wissen um den Jahreslohn eines Handwerksmeisters ja noch nicht darüber informiert, welchen Lebensstandart jener damit finanzieren konnte. Zu den Investitionskosten werden nur wenige Informationen in Bezug auf die Malerei gegeben. Die grafische Produktion, die ja wohl den Grundstein des Vermögens bildete bleibt bis auf eine Rechnung, die darlegt ab wann sich der Einsatz von Kolporteuren rechnete, vergleichsweise unbehandelt.

Weiterhin hätte ein Vergleich mit anderen künstlerisch arbeitenden „Unternehmen“ der Zeit wie den Werkstätten von Cranach, Holbein oder der in unmittelbarer Nähe angesiedelten Vischer Werkstatt weiteren Aufschluss geben können. Schmid zieht dagegen immer wieder den Vergleich zur Werkstatt Wohlgemuth heran und bleibt damit im unmittelbarsten Dunstkreis Dürers. Dabei scheint es klar, dass Dürer hier eine andere Geschäftsstrategie verfolgen muss.

Besonders bedauerlich finde ich, dass der Autor auf eine nähere Untersuchung des Verbreitungsgebietes „aus verschiedenen Gründen verzichtet“ (p.33). Ein Aspekt der doch fundamental für den wirtschaftlichen Erfolg Dürers war, der aber „ ...im Rahmen dieser Arbeit nicht systematisch verfolgt werden kann“ (p.183) sicher aber zu einer Klärung der wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich mehr beigetragen hätte als die Fülle an Interpretationsansätzen zum künstlerischen Schaffen und 103 schwarzweiß Abbildungen.

Ein spannendes Untersuchungsfeld hätte mit Sicherheit auch die Marketing Strategie Dürers geboten. Ist Dürer nicht einer der ersten, der auch durch sein Monogramm einen ganz dezidierten Wert auf Qualität und Originalität legte. Schmid erklärt hierbei Probleme zu Nachdrucken und Prozessen gegen Italiener, eine Untersuchung des Marketings und des Labels AD wird aber nicht unternommen. So bietet alleine die Auseinandersetzung Dürers mit seinem Kunden Heller einen gewissen Einblick in den Anspruch und das Selbstbewusstsein des Nürnberger Künstlers. Mit welchen Mitteln er sich diese sichere Marktposition allerdings erkämpft hat bleibt uns weiterhin schleierhaft.


In punkto wirtschaftliches Handeln Dürers zieht Schmid folgende Bilanz: „Dürer war also ein erfolgreicher Holzschneider und Kupferstecher, daneben warfen auch Gemälde und Entwurfsarbeiten einigen Gewinn ab. Aber eine frühmoderene, ausschließlich an Absatz und Profit orientierte Unternehmerpersönlichkeit wird man in ihm nicht sehen dürfen“ (p.562)

Mir drängt sich der Eindruck auf, dass es sich hierbei nicht um einer fundamental neuen Erkenntnis handeln kann. Insgesamt scheint mir die Publikation also einen weiten Blick über Dürers Leben zu geben, bei dem immer wieder versucht wird wirtschaftlich relevante Faktoren herauszuheben, quasi das Schaffen des Nürnbergers auf seine Wirtschaftlichkeit geprüft und darin nachvollziehbar gemacht. Eine genauere und umfassende Untersuchung des Unternehmens, seiner Strategien und des geschäftlichen Umfelds wird, auch wenn es der Titel zu versprechen scheint, nicht gegeben. Ob das ausschließlich an der Quellenlage zu diesem Sachgebiet liegt, kann ich nicht beurteilen.


1 Wolfgang Schmid: Dürer als Unternehmer. Kunst, Humanismus und Ökonomie in Nürnberg um 1500 (Beiträge zu Landes- und Kulturgeschichte, 1); Trier: Porta Alba Verlag 2003

2 Hans Rupprich (Hrsg.): Dürer. Schriftlicher Nachlass, 3 Bände, Berlin 1956/1966/1969